- Von Redaktion
- 17.01.2014 um 10:55
„Die erneute Senkung des Leitzinses ist ein fatales Signal an alle Altersvorsorgesparer in Deutschland. Die niedrigen Zinsen gehen massiv zu ihren Lasten.“ Jörg von Fürstenwerth ist sauer. Der Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Versicherungsverbands GDV kritisiert die jüngste Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) scharf.
Am 7. November verkündete EZB-Präsident Mario Draghi, dass der Leitzins in Europa in nächster Zeit nur noch bei 0,25 Prozent liegen wird. Das ist so tief wie nie zuvor. Und geht genau in die falsche Richtung, findet von Fürstenwerth: „Eine Abkehr von der Politik des billigen Geldes ist mehr als überfällig.“ Eine Aussage, hinter der die gesamte Branche stehen dürfte.
Versicherer müssen kämpfen
Je niedriger die Zinsen sind, desto schwieriger fällt es den Versicherern nämlich, ordentliche Renditen für ihre Kunden zu erwirtschaften. Und desto höher müssen die Rücklagen sein, die sie für Verträge mit hohen Garantiezinsen von bis zu 4 Prozent vorhalten müssen.
Inzwischen ist ein Maß erreicht, wo der ein oder andere Versicherer ordentlich zu kämpfen haben wird. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die Eigenkapitalrichtlinie Solvency II, die langfristige Garantien und manche Kapitalanlagen wie Aktien künftig noch teurer machen wird.
Run-off als Ausweg
Vor diesem Hintergrund wird das Geschäft Lebensversicherung für manche Versicherer einfach nicht mehr profitabel sein. Eine Lösung, die sich da anbietet: Der sogenannte Run-off. Das Vorgehen ist nicht neu.
Aber jetzt kommt in den Prozess ein wenig mehr Fahrt. Denn während es in der Sachversicherung mit der Deurag schon einen Anbieter gibt, der Bestände von anderen Versicherern übernimmt, hat die Heidelberger Leben nun bekannt gegeben, die erste Bestandsverwaltungsplattform für Lebenspolicen schaffen zu wollen. Und auch Bertram Valentin, ehemaliger Chef der Standard Life, plant, in diesem Feld aktiv zu werden.
Viele Versicherer am Markt
„Die Idee ist aus der Marktsituation heraus geboren, die wir nun schon seit einigen Jahren beobachten: Wir haben dauerhaft niedrige Zinsen und eine sehr große Zahl von Versicherern am Markt. Viele geben inzwischen zu, dass es schwierig ist, Portfolios überhaupt noch profitabel zu verwalten“, sagt Thomas Klein, Leiter Vertrieb und Marketing der Heidelberger Lebensversicherung.
„Viele Unternehmen und Konzerne suchen nach einer Lösung für Bestände oder sogar ganze Unternehmen. Deswegen glauben wir, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diese Plattform aufzubauen.“
Die Nachfrage scheint also da zu sein. Aber wie funktioniert das Ganze überhaupt?
1.Was passiert bei einem Run-off?
Bei einem Run-off stellt der Lebensversicherer das Neugeschäft ein. Die bestehenden Verträge verwaltet er entweder selbst weiter, oder er verkauft sie an einen Dritten.
Für die Kunden gilt: Der Vertrag bleibt bestehen, sie zahlen Beiträge, die Überschüsse gibt es weiter. Darüber wacht die Finanzaufsicht Bafin.
„Entscheidend ist, dass die Versicherten keinen Nachteil haben“, sagt Felix Hufeld, Versicherungsaufseher bei der Bafin. Auch vertraglich vereinbarte Beitragserhöhungen, Zuzahlungen oder Nachversicherungsgarantien bleiben dem Kunden erhalten.
2. Entstehen dem Kunden Nachteile?
Darüber streiten sich die Experten. „Für die Kunden hat es meist Nachteile, wenn ein Versicherer in die Abwicklung geht“, sagt Axel Kleinlein, Chef des Bunds der Versicherten. „Muss der Versicherer nämlich keine neuen Kunden anlocken, braucht er keine attraktiven Konditionen, er muss also zum Beispiel keine hohe Überschussbeteiligung mehr ausloben.“ Zu sehen sei das etwa am Beispiel der Victoria Lebensversicherung, deren Überschüsse geringer seien als bei der Ergo Leben.
So hat die Victoria ihren Kunden 2013 nur rund 3,0 Prozent Zinsen gutschreiben können – bei der Ergo waren es 3,2 Prozent, der Branchenschnitt liegt bei 3,6 Prozent. Die Ergo allerdings bestreitet, dass die niedrigere Verzinsung etwas mit dem eingestellten Neugeschäft zu tun hat. Die Verzinsung liege bereits seit Jahren unter dem Wert der Ergo Leben.
Auf der anderen Seite kann das fehlende Neugeschäft auch etwas Gutes für die Kunden haben. Abschluss- und Marketingkosten fallen bei einem Run-off zum Beispiel nicht mehr an. Vorfinanzierungen dafür bleiben im Unternehmen.
50 Prozent dieser Kostenüberschüsse müssen an den Kunden weitergegeben werden, sodass die Überschussbeteiligung unter Umständen steigt. Aber auch hier gibt es wieder eine Kehrseite. Die Verwaltungskosten liegen meist höher als bei anderen Anbietern. Der Grund: Die Fixkosten verteilen sich auf immer weniger Verträge. Schön zu sehen ist das an den Verwaltungskosten der Protektor Lebensversicherung. Sie liegen bei 6,3 Prozent – und damit deutlich höher als der Marktschnitt von 2,5 Prozent.
Diese Kosten lassen sich in größeren Unternehmen aber drücken – oder eben im Rahmen einer Abwicklungsplattform in den Griff bekommen. „Je mehr Bestände wir auf der Plattform verwalten, desto höher sind die Skaleneffekte, und desto eher profitieren auch die Kunden davon, etwa durch Kostenüberschüsse“, sagt Klein.
3. Können alle Bestände übernommen werden?
„Man muss einzelne Bereiche sehr genau bewerten. Etwa den Vertrieb. Handelt es sich dabei vor allem um Ausschließlichkeitsvermittler oder Makler? Das ist wichtig, da die Kunden ja weiter betreut werden müssen“, sagt Klein.
Auch die finanzielle und aktuarielle Bewertung sei essenziell. Da müsste zum Beispiel geprüft werden, wie viele Garantien sich in welcher Höhe im Portfolio befi nden, wie sich die künftigen Cashflows entwickeln und ob es aktuelle Rechtsstreitigkeiten gibt. „Auch die IT ist ganz entscheidend“, so Klein. „Das Modell lebt ja davon, dass wir idealerweise mehrere Bestände auf eine einheitliche Plattform bringen, um diese Skaleneffekte erzielen zu können. Von daher müssen wir uns natürlich die Plattformen anschauen, auf denen die Bestände im Moment verwaltet werden.“
Sind das selbst gestrickte Systeme oder alte Standardsysteme, die aber oft angepasst wurden? Sind die Systeme überhaupt migrierbar? Und wenn nicht, gibt es dann trotzdem einen profitablen Ansatz, um die Verwaltung zu übernehmen?
Die Heidelberger Leben beziehungsweise die Muttergesellschaft Cinven möchte 25 Millionen Euro in die Technik der neuen Plattform investieren. Cinven ist ein Private-Equity-Haus aus Großbritannien und verfügt dort schon über eine Konsolidierungsplattform namens Guardian. Die Briten haben diese vor drei Jahren gekauft und das verwaltete Vermögen durch Zukäufe seit November 2011 von 8 auf aktuell 13 Milliarden Pfund (etwa 16 Milliarden Euro) gesteigert.
In Großbritannien etablierter
Obwohl die Bestandsverwaltung von Lebensversicherungen in Großbritannien weitaus etablierter ist als in Deutschland, scheint es hierzulande voranzugehen. „Wir hatten schon einige Anfragen“, sagt Vertriebsvorstand Klein. Und schließlich sucht etwa die Protektor Lebensversicherung auch noch nach einem Käufer für ihre 130.000 Verträge im Bestand. Bisher war sie damit nicht sonderlich erfolgreich.
Wäre das nicht ein bestens geeigneter erster Kandidat für die neue Bestandsverwaltungsplattform der Heidelberger Leben? Klein: „Wir äußern uns grundsätzlich nicht über mögliche konkrete Akquisitionsziele.“ Nun denn, dann heißt es also abwarten. Es bleibt spannend.
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