- Von Karen Schmidt
- 18.11.2019 um 13:20
Als dramatisch kann man die Veränderungen bezeichnen, die derzeit den Gesundheitsmarkt in Deutschland prägen. Zunächst ist da der demografische Wandel zu nennen. „Kernbestandteil des deutschen Gesundheitsmarkts sind seit über hundert Jahren die Krankenversicherungen. Als dieses System geschaffen wurde, lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 35 bis 38 Jahren“, sagt Jan Berger, Geschäftsführer der Denkfabrik 2b Ahead (zu einem ausführlichen Interview mit Berger geht es hier). Heute könnten Neugeborene gut 100 Jahre alt werden. Zudem würden in den nächsten fünf bis zehn Jahren Gentherapien auf den Markt kommen, die Alterungsprozesse in menschlichen Zellen verlangsamen, stoppen oder sogar umkehren könnten.
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„Kunden lassen uns mehr an ihrem Leben teilhaben“
„Die Frage heute ist also: Wie leben wir so lange wie möglich gesund“, so Berger. Und genau an dieser Stelle setze bei den Krankenversicherern ein Umdenken ein. Berger: „Es führt zu einer Abkehr von reiner Versorgung hin zur Prävention.“ Statt einen Menschen also so schnell wie möglich wieder gesund zu machen – heißt arbeitsfähig –, liegt der Fokus nun darauf, Krankheiten zu vermeiden. Besser das, als viele Jahre des Leidens mit teuren Medikamenten zu lindern.
Die zweite Veränderung ist der digitale Wandel. Mit ihm gehe vor allem eine Ausdehnung des Begriffs Gesundheit einher, ist Berger überzeugt. „Früher war ich gesund, solange meine Ärztin mich nicht krankschrieb. Die vielen Daten, die wir heute über den physischen und mentalen Zustand von Menschen erheben, führen dazu, dass ich je nach Tagesform nur zu 70, 80 oder 90 Prozent gesund bin.“ Jedes Smartphone sei in der Lage, diese Zustände in messbaren Größen auszudrücken. Und viele Menschen nutzten diese Assistenten, um bewusster mit der eigenen Gesundheit umzugehen.
Gigantischer neuer Markt
Berger: „Sie sind informierter. Und damit entsteht ein gigantischer Gesundheitsmarkt, der weit über Leistungen hinausgeht, die der klassische Gesundheits- oder Versorgungsmarkt bisher angeboten hat.“ Insbesondere erwarteten Menschen nun auf sich angepasste Leistungen. „Sie wenden sich zunehmend von Standardangeboten ab“, so Berger.
Die Folge dieser beiden Entwicklungen: Die privaten Krankenversicherer müssen sich neu erfinden. Primär wird es für die Anbieter darum gehen, sich vom reinen Kostenerstatter zum Kümmerer zu entwickeln. Bei einigen Anbietern sei dies schon in Ansätzen zu beobachten, meint Gerhard Reichl: „Auf Seiten der PKV werden digitale Gesundheitsservices bislang vorwiegend über Assistance-Leistungen angeboten“, so der Senior-Analyst bei der Rating-Agentur Assekurata. „Künftig sind hier auch spezifische Produktlösungen denkbar, die gesundheitsbewusstes Verhalten und Prävention honorieren.“
Gesundheitsbewusstes Verhalten fördern
2016 fingen etwa die Generali und ihre Biometrie-Tochter Dialog damit an, das Gesundheitsprogramm Vitality mit ihren Produkten – BU- und Risikolebensversicherung – zu verweben: Kunden, die gesunde Lebensmittel kaufen oder per Fitness-Armband körperliche Aktivität nachweisen, bekommen Punkte. Je höher der Punktestand, desto größer die finanziellen Vorteile. Als Belohnung gibt es zum Beispiel Rabatte für den Besuch von Fitness-Studios oder einen Nachlass auf die Versicherungsprämie.
Der amerikanische Versicherer John Hancock ist damit noch einen Schritt weiter gegangen: Er hat Vitality zu einem Pflichtbestandteil seiner Policen gemacht. Für den Anbieter aus gutem Grund. Die Vitality-Kunden verursachten zum Beispiel rund 30 Prozent niedrigere Kosten für Krankenhausaufenthalte als Nicht-Vitality-Versicherte.
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