Im Justizpalast in München tagt auch das Landgericht München I, welches sich aktuell mit einer ganzen Reihe von Entscheidungen zur Betriebsschließungsversicherung befassen muss. © picture alliance/dpa | Sven Hoppe
  • Von Redaktion
  • 01.10.2020 um 17:03
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Das Landgericht München hat einem Gastwirt eine Zahlung in Höhe von exakt 1,014 Millionen Euro aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung gegen seine Versicherung zugesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – doch die Signalwirkung dürfte beträchtlich sein. Fachanwalt Norman Wirth ordnet das Urteil in seinem Gastkommentar ein.

Mit der Corona-Krise gerieten insbesondere unzählige Hotels und Restaurant aber auch Kitabetreiber, Handwerker, Ladenbetreiber und viele andere Gewerbebetriebe in existentielle finanzielle Not.

Viele hatten für diesen Fall mit einer Betriebsschließungsversicherung vorgesorgt. Diverse Versicherer lehnten die Übernahme der Versicherungsleistung ab, unterbreiteten Zahlungsangebote, die in vielen Fällen inakzeptabel waren und sprachen die Kündigung der Versicherungspolice. Wirth-Rechtsanwälte bearbeitet inzwischen eine Vielzahl dieser Fälle.

Am 1. Oktober 2020 gab es nun zu dem Komplex ein wegweisendes Urteil (Aktenzeichen 12 O 5895/20) der auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des Landgerichts München I (Pfefferminzia berichtete), welches in allen Punkten die von Beginn an geäußerten Rechtsauffassungen der Spezialisten von Wirth-Rechtsanwälte bestätigt.

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Die Streitpunkte zusammengefasst: Der Kläger betreibt eine Gaststätte mit 1.200 Sitzplätzen im Innenbereich, 800 Sitzplätze auf den Terrassen und 5.000 Sitzplätze im Biergarten in München. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hatte per Allgemeinverfügung ab dem 21. März 2020 den klägerischen Betrieb aufgrund des Coronavirus geschlossen.

Der Gastwirt begehrte daraufhin Leistungen aus seiner Betriebsschließungsversicherung. Die beklagte Versicherung weigerte sich. Das Gericht zeigte der beklagten Versicherung nun per Urteil klar auf, dass hier Versicherungsleistung zu erbringen ist. 

Das Gericht hält zum einen die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung, entgegen der Auffassung der beklagten Versicherung, nicht für relevant. Es war nach Auffassung des Gerichts nicht erforderlich, dass das Coronavirus direkt im Betrieb aufgetreten ist, denn nach den Versicherungsbedingungen sei lediglich entscheidend, dass eine Schließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes erfolgen musste.

Es kommt also nicht darauf an, ob es eine konkrete Einzelanordnung für den jeweiligen Betrieb oder eine sogenannte Allgemeinverfügung für eine Vielzahl von Betrieben gab. Der Gastwirt habe auch nicht gegen die Schließungsanordnungen vorgehen müssen.

Außerhausverkauf als Alternative?

Das Gericht äußerte sich auch zu der Möglichkeit, einen Außerhausverkauf zu organisieren. Wenn das für den Restaurantbetrieb lediglich ein untergeordnetes Mitnahmegeschäft sei, wäre es keine unternehmerische Alternative, auf die sich der Gastwirt verweisen lassen müsse. Auch insofern ist ein wesentliches Argument, was regelmäßig von einigen Versicherern ins Feld geführt wird, vom Tisch gefegt worden.

Das Gericht setzt sich weiter mit den regelmäßig üblichen Versicherungsbedingungen auseinander, wonach Bezug auf die Aufzählung der im Infektionsschutzgesetz gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger genommen wird. Auch dazu gibt es seitens des Gerichts klare Worte. Die entsprechende Regelung in den Versicherungsbedingungen sei intransparent und daher unwirksam.

Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe, was hier gerade nicht der Fall war. Denn der Versicherungsnehmer gehe auf Basis des Wortlauts der Bedingungen davon aus, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem Infektionsschutzgesetz decke.

Die hier maßgeblichen und in vielen weiteren Streitfällen identischen oder fast identischen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) lauten auszugsweise wie folgt:

„Paragraf 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

  1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und

Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger

in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger

  1. a) den versicherten Betrieb […] schließt; […]
  2. Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in Paragrafen 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren

Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2000:

  1. a) Krankheiten

[…]

  1. b) Krankheitserreger

[…]

  • 3 Ausschlüsse
  1. Der Versicherer haftet nicht

[…]

  1. b) für andere als die in Paragraf 1 Ziffer 2 genannten Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für […].“

Der Gastwirt konnte davon ausgehen, dass in Paragraf 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolge, und nur in Paragraf 3 AVB Einschränkungen enthalten seien, so das Gericht.

Die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger sei jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig. Außerdem sei das Infektionsschutzgesetz seit dessen Einführung vor 20 Jahren bereits mehrfach geändert und um weitere Krankheiten und Erreger ergänzt worden.

Dies bleibe dem Versicherten verborgen und damit müsse er auch nicht rechnen. Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, hätte der Versicherte letztlich die Auflistung in Paragraf 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des Infektionsschutzgesetzes vergleichen müssen.

Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, ist aber intransparent.

Und noch einen wesentlichen Punkt klärt das Gericht: Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung sind in diesem Fall weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele.

Fazit

Damit liegt eine weitere Entscheidung klar zugunsten des betroffenen Hotel- und Gastronomiegewerbes vor. Die eindeutigen Worte des Gerichts zu den Argumenten einiger Versicherer zeigen, was wir bereits seit Beginn dieser unsäglichen Diskussion zur Zahlungspflicht der Versicherer gesagt haben: In den allermeisten Fällen besteht bedingungsgemäß Versicherungsschutz. Wir gehen davon aus, dass sich die Rechtsprechung auf Grundlage dieses Urteils festigen wird.

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