- Von Achim Nixdorf
- 08.07.2021 um 18:20
Digitalisierung, Leistungsverdichtung, steigende Lebenserwartung: Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt. Deshalb hat die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) jetzt ihr BU-Tafelwerk, also ihre Rechnungsgrundlage für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), überarbeitet. Das wichtigste Ergebnis: Berufsunfähigkeit ist und bleibt ein existenzielles Risiko für die Deutschen.
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Es gelte weiterhin, dass bis zum Renteneintritt jeder Vierte mindestens einmal in seinem Arbeitsleben berufsunfähig werde. „Ohne eine entsprechende Absicherung sind das für die meisten kaum zu kompensierende Einschnitte im Haushaltseinkommen, und für Alleinverdiener oder Singles kann das sogar den Ruin bedeuten“, sagte der DAV-Vorstandsvorsitzende Herbert Schneidemann auf einer Online-Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen BU-Tafel. Das letzte Tafelwerk der DAV zur Reservierung von Berufsunfähigkeitsabsicherungen stammt noch aus dem Jahr 1997 („DAV 1997 I“).
Es sei deshalb bedauerlich, dass es hierzulande bei über 45 Millionen Erwerbstätigen nur rund 17 Millionen Versicherungsverträge gebe, die gegen eine Invalidität absichern. „Die Menschen versichern ihr Smartphone, aber nicht ihre Arbeitskraft und damit ihre Existenzgrundlage“, so Schneidemann.
BU-Risiko junger Frauen steigt
Tatsächlich zeigt die Überprüfung der DAV-BU-Tafel, dass die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, teilweise sogar zugenommen hat. Das betrifft insbesondere junge Frauen unter 40 Jahren. Bei ihnen stieg das BU-Risiko in den vergangenen 20 Jahren um über 30 Prozent. Ein Grund hierfür sei die Zunahme von psychischen Erkrankungen in dieser Versichertengruppe, teilt die DAV mit. Bei jungen Männern sei die BU-Wahrscheinlichkeit hingegen stabil geblieben. Eine Erklärung für diese Entwicklung hat die DAV nicht. Möglicherweise sind Frauen, die auch Mütter sind, im Job häufiger einer stärkeren Doppelbelastung ausgesetzt als Männer.
Psychische Erkrankungen nehmen zu
Laut einer Untersuchung von Morgen & Morgen geht derzeit beinahe jeder dritte Leistungsfall (31,88 Prozent) auf seelische Probleme zurück. Noch vor zehn Jahren lag der Anteil bei rund 20 Prozent. Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates (20,33 Prozent) sowie Krebserkrankungen und andere bösartige Geschwülste (17,77 Prozent) stellen die zweit- beziehungsweise dritthäufigste Ursache dar. Wie aus den Daten der Deutschen Rentenversicherung hervorgeht, waren Anfang der 1990er-Jahre noch körperliche Gebrechen der Hauptgrund dafür, dass jemand seine Arbeit aufgeben musste.
Sinkende Leistungsfälle im Alter
Erfreulich ist die Entwicklung indes sowohl bei Männern als auch bei Frauen über 40 Jahren. Hier sank die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, bei weiblichen Versicherungsnehmern um 36 Prozent und bei männlichen um etwa 45 Prozent (siehe Grafik). „Darin spiegelt sich deutlich die Veränderung der Arbeitswelt wider“, konstatiert Herbert Schneidemann. „Zum einen sind immer weniger Personen in körperlich anstrengenden Berufen tätig und zum anderen sinken generell die körperlichen Anforderungen in vielen Berufen. Dieser positive Trend überkompensiert glücklicherweise den auch in dieser Altersklasse zu beobachtenden Anstieg der Schadenfälle durch psychische Erkrankungen.“
Die DAV-Untersuchung zeigt auch: Die Versicherten kehren nach einer BU-Erkrankung immer schneller in den Job zurück. 19 Prozent nehmen heute binnen der ersten 24 Monate wieder ihren zuletzt ausgeübten Beruf auf. Vor 20 Jahren waren es nur elf Prozent. Anders verhält es sich aber bei Personen, die drei bis zehn Jahre berufsunfähig sind. Während nach der DAV-Tafel 1997 I rund 26 Prozent der Betroffenen in diesem Zeitraum in den Beruf zurückkehrten, sind es nach der neuen Tafel nur 16 Prozent.
Die DAV warnt davor, aus den vorliegenden neuen Erkenntnissen Rückschlüsse auf mögliche Preisentwicklungen für den BU-Versicherungsschutz zu ziehen. Die Prämien würden individuell von den Gesellschaften berechnet und seien von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Dazu gehörten neben der Entwicklung des Rechnungszinses beispielsweise auch die Zusammensetzung des jeweiligen Kollektivs.
Corona-Auswirkungen noch nicht absehbar
Noch nicht prognostizierbar ist, wie sich die Corona-Pandemie auf die BU-Leistungsfälle auswirken wird, da sich mögliche Langzeitfolgen beziehungsweise Veränderungen des Arbeitsmarktes erst in den nächsten Jahren zeigen werden. „Nach unserer Einschätzung können die potenziellen Auswirkungen aber auf jeden Fall durch das kollektive Geschäftsmodell der Lebensversicherung abgefedert werden“, ist sich Schneidemann sicher.
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