- Von Lorenz Klein
- 22.07.2021 um 08:16
2021 dürfte zum schadenträchtigsten Jahr seit 2002 für die Versicherer werden – das erwartet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die in der vergangenen Woche vom Tiefdruckgebiet „Bernd“ ausgelöst wurde.
„Wir rechnen momentan mit versicherten Schäden in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen am Mittwoch auf Basis vorläufiger Schätzungen. „Die Schäden dürften sogar noch über denen des August-Hochwassers im Jahr 2002 von 4,65 Milliarden Euro liegen“, so Asmussen. Tief „Bernd“ gehöre damit „zu den verheerendsten Unwettern der jüngeren Vergangenheit“.
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Die Evaluierung durch die Versicherer dauere allerdings noch an, wie der GDV mitteilte, da die zerstörte Infrastruktur die Kommunikation und Besichtigung der Schäden vor Ort erschwere. Eine aktualisierte Schadenschätzung wolle der Verband in der kommenden Woche vorlegen. Die Schäden in Sachsen und Bayern sind laut GDV in dieser ersten Schätzung noch nicht enthalten.
Verband erwartet schadenträchtigstes Jahr seit 2002
„Insgesamt dürfte dieses Jahr mit Stürmen, Überschwemmung, Starkregen und Hagel zum schadenträchtigsten Jahr seit 2002 werden“, fasste Asmussen zusammen. Damals lag der versicherte Unwetterschaden bei 10,9 Milliarden Euro. Bereits im Juni hatten Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht.
Asmussen betonte weiter, dass die Versicherer „seit Tagen unter Hockdruck“ an der Schadenbegutachtung und -regulierung in den betroffenen Gebieten arbeite. Die Branche tue alles, „um pragmatisch und effizient zu helfen, damit die Schäden unserer Kundinnen und Kunden schnell und unkompliziert bearbeitet werden können“, so der GDV-Hauptgeschäftsführer. „Meine Gedanken sind bei den Menschen, die Angehörige und Freunde verloren haben und denen, die um Ihr Hab und Gut bangen.“
GDV knüpft Pflichtversicherung an Bedingungen
Angesichts der Milliardenschäden ist erneut die Diskussion um eine Pflichtversicherung für Immobilienbesitzer gegen Elementarschäden entbrannt. Der GDV stand dieser Forderung bislang immer ablehnend gegenüber. Diesmal klangen Asmussen Worte zwar zurückhaltend, aber nicht mehr ganz so ablehnend: „Als einzelnes Instrument lehnen wir sie ab, weil sie den Anreiz nimmt, sich gegen Flut- und andere Extremwetterrisiken abzusichern“, so der Verbandsrepräsentant. Eine Pflichtversicherung könne nicht die Kosten der fehlenden Klimafolgenanpassung schultern.
Zugleich ließ Asmussen jedoch ein Kompromissangebot an die Politik durchblicken: So wäre eine Pflichtversicherung „allenfalls dann sinnvoll, wenn sie in ein neues Gesamtkonzept für Flächen- und Bauplanung sowie den Katastrophenschutz eingebunden wäre“, wie er sagte. Die Versicherungswirtschaft stört sich schon länger daran, dass in den Kommunen noch zu häufig Bauland in Risikogebieten ausgewiesen würde.
Asmussen begrüßt Hochwasser-Soforthilfen
Die von der Bundesregierung beschlossenen Hochwasser-Soforthilfen in Höhe von 400 Millionen Euro begrüßte Asmussen: „Die jetzt entstandenen Schäden übersteigen die Selbsthilfekräfte der Kommunen und Landkreise bei weitem. Zur Linderung der unmittelbaren Not ist die Auszahlung von Soforthilfen daher sinnvoll.“
Verbraucherschützer preisen britisches Vorbild
Bisher konnte eine Versicherungspflicht nicht eingeführt werden, weil zum Beispiel auch verfassungsrechtliche Bedenken bestehen – wenn Immobilienbesitzer zu einer Absicherung eines Risikos gezwungen werden, das nur vergleichsweise wenige Menschen betreffe. Zuletzt wurde das Thema 2017 von Bund und Ländern zu den Akten gelegt worden. Allerdings dürfte die Zahl der Befürworter einer Pflicht nun steigen, weil sich solche Schäden aufgrund des Klimawandels vermutlich häufen werden.
Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV), könnte sich eine gesetzlich festgeschriebene Allgefahrenabsicherung nach britischem Vorbild vorstellen. „Damit hätten Verbraucher das Recht, dass beispielsweise ihre Häuser zunächst gegen alle Risiken abgesichert wären. Sie können aber auch einzelne Risiken abwählen“, sagt Müller in einer Mitteilung. Dann stünde die Versicherungsbranche in der Pflicht, allen Versicherten bezahlbaren Schutz anzubieten.
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