- Von Manila Klafack
- 08.06.2022 um 12:08
Pfefferminzia: Ein Projekt des Marktplatzes bessergrün im Mai betraf die Nordsee. Dort bargen Sie zusammen mit anderen Tauchern herrenlose Fischernetze, die sich an Wracks verfangen hatten und eine Gefahr für die im Wasser lebenden Tiere darstellen. Wo lauert hier die größte Gefahr?
Kai Wallasch: Zum einen gefährden diese Netze unmittelbar Fische, Seesterne aber auch Schweinswale, die sich verfangen und nicht mehr befreien können. Immerhin wurden diese Netze dafür hergestellt, Tiere zu fangen und dieser Aufgabe kommen sie auch noch nach, wenn sie nicht mehr an einem Fischerboot hängen, sondern, aus welchem Grund auch immer, abgerissen sind. Zum anderen lösen sich diese aus High-Density-Polyethylen hergestellten Netze durch die Sonne, das Wasser und die Strömung langsam auf. Mikroplastik entsteht. Das wiederum gelangt in den Nahrungskreislauf und damit letztlich auf unserem Teller.
300 Kilogramm Geisternetze aus der Nordsee gefischt
„Es beginnt im Kopf des Maklers, nicht im Kopf des Kunden“
Warum haben sich Taucher wie Sie dazu entschlossen, ehrenamtlich dagegen etwas zu unternehmen?
Jeder, der bei uns taucht und damit die Meere ein bisschen vom Müll befreit, tut das sowohl für sich selbst als auch für andere – nicht zuletzt für seine eigene Familie, seine Kinder. Denn wir leben alle gemeinsam auf diesem Planeten. Alles steht miteinander in Verbindung, alles wirkt sich irgendwie und irgendwo aufeinander aus. Oft sehen wir das nicht sofort, dennoch passiert es. Die Umwelt und die Artenvielfalt zu schützen, sind für unser eigenes Überleben wichtig. Bei Ghost Diving Germany engagieren sich Umweltenthusiasten. Weltweit gibt es rund 250 Ghost Diver. In Deutschland sind es 42, von denen 15 den harten Kern bilden.
Was macht das Arbeiten unter Wasser so schwierig?
In einigen Metern Tiefe herrschen komplett andere Bedingungen, bereits der Druck verändert sich schnell. Das Gewicht der Ausrüstung stellt ebenfalls eine Belastung dar, vor allem für Taucher, die weniger gut trainiert sind. Das Schneiden dieser festen Fischernetze mit dem Messer ist Schwerstarbeit. Darum tauchen wir immer zu zweit. Einer arbeitet, der andere muss alles im Blick behalten. Dann wird getauscht. Je nach Tauchregion kommen andere Schwierigkeiten dazu. Bei der Aktion in der Nordsee im Mai tauchten wir zum Beispiel in 20 Metern Tiefe. Dort spielen schlechte Sicht und die Gezeiten eine große Rolle. Es gibt wegen den Gezeitenströmen nur ein kurzes Zeitfenster, in dem wir überhaupt tauchen können. Und wir können ausschließlich in der Nähe der Küsten unterwegs sein.
Nun gibt es andere Organisationen, etwa der WWF, die sich für den Schutz der Meere einsetzen und beispielsweise Geisternetze bergen. Warum musste es ein eigener Verein sein?
Der WWF oder ähnliche Organisationen wollen eher auf politische Lösungen hinarbeiten. Sie wollen Druck auf die Verantwortlichen ausüben. Eine Lösung könnte sein, Netze mit GPS-Sendern auszustatten, damit man sie besser finden kann. Eine andere Möglichkeit wäre, Netze aus alternativen Materialien herzustellen. Dafür tauchen sie nach den Netzen und dokumentieren, welche Tiere sich verheddern und sterben. Das ist sehr wichtig. Doch wir wollen jetzt etwas Handfestes tun, und nicht auf politische Lösungen warten. Darum tauchen wir unabhängig vom WWF nach Netzen, an anderer Stelle arbeiten wir wieder Hand in Hand zusammen. Zudem kooperieren wir mit Partnern wie Healthy Seas oder Bracenet, die das Re- und Upcycling der Netze übernehmen. Denn das Bergen der Netze ist das eine, doch was danach damit passiert, ist ebenfalls wichtig. Diese beiden Unternehmen verarbeiten die Netze zu etwas Nützlichem, wie Socken, Armbänder, Schlüsselanhänger oder Hundeleinen.
In der Woche an der ostfriesischen Küste haben Sie über 500 Kilogramm Netze geborgen. Ist es für Sie nicht frustrierend zu wissen, dass vermutlich ebenso viel oder mehr an einem Tag wieder in den Meeren verschwindet?
Darüber denke ich nicht nach, weil das vermutlich tatsächlich frustrierend wäre. Ich kann daran nichts ändern. Genauso wenig wie ich es ändern kann, dass im Pazifik mit kilometerlangen Stellnetzen gefischt wird, oder immer noch illegal Wale gefangen werden. Ich konzentriere mich darauf, was ich ändern kann und das ist, einige der im Meer liegenden Netze so gut es eben geht, herauszuholen.
Sehen Sie eine Gemeinsamkeit zwischen Versicherungen und dem Tauchen nach diesen herrenlosen Netzen?
Da drängt sich mir tatsächlich etwas auf: Versicherungen sind dazu da, den finanziellen Schaden vom Versicherten abzuwenden. Beim Bergen der Geisternetze wenden wir ebenfalls einen Schaden ab: die Beschädigung des Meeres, von mir selbst und meinen Kindern. Wenn man so will, sind wir eine Art Versicherung für das Meer.
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