- Von Andreas Harms
- 19.10.2022 um 09:46
Henning Schmidts Kunde war 24 Jahre alt und arbeitete bei einem Unternehmen, das hauptsächlich Bio-Lebensmittel herstellt. Und er war sehr, sehr nachhaltig unterwegs. Weshalb Schmidt, der bei Schnitger Versicherungsmakler in Oldenburg arbeitet, eine ungewöhnliche Aufgabe bekam: Er sollte eine grüne Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Versicherung) finden.
Der Wunsch liegt durchaus auf der Höhe der Zeit: McDonald’s dreht Trinkröhrchen aus Papier, und Porsche baut Autos mit Elektro-Motor – so vieles soll oder will heute nachhaltig werden. Warum nicht auch die BU-Versicherung? Dabei liegt der Gedanke zunächst nicht wirklich auf der Hand. „Das bisschen an Rückstellungen, die sich in den ersten Jahren bilden, hat keinen großen Effekt“, stellt der auf Biometrie spezialisierte Makler Philip Wenzel nüchtern fest. Im Gegensatz zum Beispiel zur Altersvorsorge, bei der Sparer im Idealfall Guthaben von mehreren Hunderttausend Euro bilden.
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Das änderte aber nichts an Schmidts Forschungsauftrag. Weshalb er folgenden Bogen schlug: Eine BU-Versicherung baut zwar nicht direkt ein Guthaben auf. Allerdings fallen Überschüsse auf die Beiträge an. Und wenn man die nicht mit den Prämien verrechnet, sondern ansammelt, kann man das Geld in Investmentfonds leiten. „Wenn diese Fonds nun den grünen Kriterien unseres Kunden entsprechen, lässt sich auch eine grüne Berufsunfähigkeitsversicherung basteln“, schreibt er in seinem Bericht auf dem Portal Worksurance.
Und er bastelte los, prüfte aber erst mal die reinen Versicherungskonditionen und Fondsmöglichkeiten. Einige Kandidaten flogen raus, weil sie keine oder nur wenige nachhaltige Fonds anboten. Einen prima Eindruck hinterließ die Alte Leipziger, „die ein breites Angebot an Fonds bietet“. Vor allem ist die ganze Fondsübersicht im Netz ganz auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Sie lässt sich nach Ausschlusskriterien filtern, ebenso wie nach Artikel 8 und 9 der europäischen Offenlegungsverordnung SFDR. Zur Erklärung: Artikel-8-Fonds berücksichtigen in ihrem Anlageansatz nachhaltige Kriterien, die man mit „ESG“ für „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“ abkürzt. Fonds nach Artikel 9 haben das auch, verfolgen aber zusätzlich ein klares nachhaltiges Anlageziel. Deshalb gelten sie auch als dunkelgrün.
Im aktuellen Fondsangebot der Alten Leipziger für Überschussanlagen finden sich 53 Fonds nach Artikel 8 und 18 nach Artikel 9. Darunter befindet sich Markenware, zum Beispiel von der DWS, DJE, Fidelity und J.P. Morgan Asset Management. Das ist nicht übel. Zumal es sich bei den aktiv gemanagten Fonds um die institutionellen Anteilsklassen mit enorm niedrigen Gebühren, sozusagen Großkundenrabatten, handelt. So kommt zum Beispiel der Klima-Aktienfonds Nordea 1 Global Climate and Social Impact nur noch mit laufenden Kosten von 0,94 Prozent im Jahr daher. Privatanleger würden 2,05 Prozent zahlen. Kleiner Unterschied.
Ebenfalls eine gute Figur gibt die Stuttgarter ab. Wer für den Tarif „BU Plus“ die Option Fonds-Plus wählt, kann auch dort die Überschüsse in Fonds fließen lassen. „Die Schwaben, ohnehin Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit im Versicherungsmarkt, bieten ebenfalls eine breite Auswahl an nachhaltigen Anlagelösungen und auch hier die Großeinkäufer-Konditionen“, lobt Schmidt. Tatsächlich macht die Fondspalette einen guten Eindruck. 58 Produkte sind ausdrücklich als nachhaltig ausgewiesen und erfüllen Artikel 8. 15 weitere Fonds passen zu Artikel 9. Und gut heraussuchen kann man sie auch.
Die Stuttgarter gehört auch zu den Favoriten von André Disselkamp. Der Berliner hat vor anderthalb Jahren zusammen mit Tobias Niendieck den Versicherungsmakler Finsurancy gegründet und legt dort Wert auf Transparenz und Nachhaltigkeit. Auch Disselkamp hält es für einen guten Weg, die Nachhaltigkeit über entsprechende Investmentfonds herzustellen. Neben der Stuttgarter mag er in dieser Hinsicht auch das Angebot der Helvetia. Und das ist in der Tat einen Blick wert. Denn der Versicherer gehört zu den zwei Anbietern in Deutschland, die die BU-Versicherung stärker auf Fonds aufbauen können als nur über die Überschüsse.
Beim Tarif Cleverprotect fließen nämlich auch Teile des Beitrags in eine Gruppe von Fonds, einen sogenannten Basket. Kunden können aus drei solchen Körben wählen, einer von ihnen besteht aus vier nachhaltigen Aktienfonds: Amundi Global Ecology (Artikel 9), JSS Sustainable Equity Global Thematic (8), Prima Global Challenges (9) und Terrassisi Aktien (8). Das sind zweifellos Qualitätsprodukte, ist als Angebot aber noch etwas schmal. Wünschenswert wäre es, wenn sich Kunden auch eigene Portfolios zusammenstellen könnten.
Das geht wiederum bei der Gothaer. Laut Philip Wenzel ist das der andere Versicherer in Deutschland, der die BU-Versicherung auf Fonds baut. Mehr gibt es noch nicht. Bei der Gothaer kann man sich für die „SBU Invest“ ein Fondsportfolio zusammenstellen. Das ist gut. Allerdings umfasst das Angebot gerade mal 26 Fonds, davon nur 3 als ausdrücklich nachhaltig eingeschlüsselt. Eine Filterfunktion für Artikel 8 und 9 sucht man leider vergebens.
Aber immerhin tut sich was auf dem Gebiet. Zumindest in Teilen halten Fonds Einzug in die BU-Versicherung. „Grüne Tupfer“ nennt Henning Schmidt das. Denn große Teile der Beiträge fließen noch immer ins Sicherungsvermögen der Versicherer. Immerhin wollen sie auch dort vermehrt nachhaltig arbeiten und unterschreiben entsprechende Anlageprinzipien. Ob sie die im Detail immer einhalten, lässt sich aber nur schwer bis gar nicht nachprüfen. Doch die Absicht ist schon löblich. Im Sommer vermeldete beispielsweise die Stuttgarter, dass sie alle Biometrie-Produkte, und damit auch die BU-Versicherungen, umgestellt hat. „Die Stuttgarter sichert zu, mindestens in Höhe des Deckungskapitals aller seit Juli 2022 abgeschlossenen Versicherungen in soziale und ökologische Projekte und Kapitalanlagen zu investieren“, sagt Klaus L. Helm, Fachtrainer Biometrie der Stuttgarter. Das ist schon eine Ansage, auch wenn das Deckungskapital natürlich nicht alles abdeckt.
„Komplett nachhaltig ist noch keine einzige BU-Versicherung“, meint deshalb auch André Disselkamp. Wer in seinen Augen neben der Stuttgarter auch gut dabei ist, ist die Nürnberger mit ihrem Tarif „BU4Future“. Der kommt ohne Fonds aus, dafür packt der Versicherer eigenen Angaben zufolge ebenfalls mindestens die gesamte Deckungsrückstellung in nachhaltige Anlagen. Und was Disselkamp zusätzlich mag, ist das Beiwerk. Denn wenn die Nürnberger schon Papier nutzt, dann ist das nachhaltig und klimaneutral verschickt. Und für jeden neuen Vertrag lässt sie einen Baum pflanzen oder hilft einem sozialen Projekt. Sie tut aber auch was für ihre Kunden, was Disselkamp für außerordentlich nachhaltig hält.
„Durch Zusatzbausteine wie Betterdoc und Coach:N sorgt sie dafür, dass weniger Menschen überhaupt erst berufsunfähig werden“, lobt er. Der Dienstleister Betterdoc betreibt ein Netzwerk aus Ärzten und ist seit Anfang des Jahres automatisch in jedem BU4Future-Vertrag enthalten. Kunden können damit auf dieses Netzwerk zugreifen, sich zweite Meinungen einholen, Spezialisten suchen und auf Wunsch auch Termine geben lassen. Um nur einige Beispiele zu nennen. Auch der auf BU spezialisierte Makler Guido Lehberg zeigt sich begeistert und schreibt: „Viel besser ist es doch, wenn es erst gar nicht zu einer Berufsunfähigkeit kommt. Und hier setzt die BU4Future von der Nürnberger ein klares Zeichen in die richtige Richtung.“
In die ähnliche Kerbe haut übrigens auch die ebenfalls enthaltene Gesundheitsplattform Coach:N. Sie bietet über 3.000 digitale Kurse darüber, wie sich Menschen gesund ernähren, bewegen und überhaupt verhalten können. Auch hier lautet die Rechnung für die Nürnberger: Sie steckt im Vorfeld Geld in solche Angebote, um später weniger Berufsunfähige zu haben. Eine Ansicht, die Makler übrigens mittragen, wie eine Umfrage der Rating-Agentur Franke und Bornberg zeigt. Darin geht es weniger um saubere Geldanlagen als vielmehr um das S in ESG, das Soziale. Einige Ergebnisse der Umfrage finden Sie in den Grafiken.
So schön die vielen grünen und sozialen Tupfer und die wachsenden Möglichkeiten auch sind – sie können nur eine Nebenrolle spielen. Die BU-Versicherung entscheidet im Extremfall derart deutlich über Wohl und Wehe von Menschen, dass die BU-Klauseln genau passen müssen. Hinzu kommt die Frage, ob Versicherte tatsächlich eine Fondskomponente in ihren Vertrag einbauen wollen – und dann nur für Überschüsse oder auch für Teile ihrer Beiträge. Oder sollten sie beides nicht besser trennen? Dann leiten sie die Überschüsse nicht in Fonds, sondern verrechnen sie mit dem Beitrag. Das sind grundsätzliche Fragen, bei denen die Meinungen weit auseinandergehen und die im Gespräch mit dem Vermittler zu klären sind. Und wenn dann die Ampel auf Grün steht, dann kann es auch der Vertrag.
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