- Von Andreas Harms
- 18.01.2023 um 08:39
Wenn alles normal gelaufen ist, liegt gegen Ende des Winters in der Heizanlage ein riesiger Eisblock. Dann hat das Wasser solche Mengen Energie abgegeben, dass man damit ein Haus heizen konnte. Möglich macht das eine physikalischer Besonderheit: Wenn Wasser zu Eis gefriert, gibt es die sogenannte Erstarrungswärme ab – das ist 80-mal so viel Energie, wie wenn es einfach nur um ein Grad abkühlt, zum Beispiel von 15 auf 14 Grad Celsius. Eine Wärmepumpe kann diesen sonderbaren Energieschub nutzen und in ein Haus leiten. Das funktioniert über eine spezielle Flüssigkeit, die Sole, wie bei einem Kühlschrank, nur umgekehrt.
Diese Art von Heizung nennt sich Eisspeicherheizung, es gibt sie inzwischen seit über zehn Jahren. Und wie ein Sprecher des Heizungsherstellers Viessmann Climate Solutions erklärt, lassen sich auf die Art sogar große Gewerbeobjekte und kommunale Bauten beheizen. Der im Jahr 2019 größte Eis-Energiespeicher Deutschlands befindet sich in Lindlar in Nordrhein-Westfalen. Er hat einen Durchmesser von 19 Metern, ist 7 Meter hoch und hat ein Speichervolumen von 1.700 Kubikmetern. Das ist 1,7-mal so viel wie in dem zerborstenen Aquadom in Berlin.
Bei Einfamilienhäusern sind eher 10 Kubikmeter üblich: Wenn die von 0 auf minus 1 Grad herunterkühlen, ergibt das eine Energieausbeute, die mehr als 120 Litern Heizöl entspricht. Allerdings bleibt es nicht dabei, weil Erdwärme – der Speicher liegt ausreichend tief – und Solarmodule auf dem Dach immer wieder Energie nachschießen und dafür sorgen, dass das Wasser nicht zu schnell erstarrt. Im Sommer taut dann alles wieder auf und bei geeigneten Wärmepumpen kann man das Haus damit sogar kühlen. Abgesehen vom Strom für die Wärmepumpe, der idealerweise aus Sonne oder Wind kommt, entsteht so ein geschlossenes System.
„Viele Ansätze, Ideen und Techniken sind schon lange da“
Die Eisspeicherheizung ist ein Beispiel für die Möglichkeiten, mit denen Hausbesitzer und -bauer ihre vier Wände klimaverträglich gestalten können. Nötig ist das allemal, schließlich sind Gebäude – wenn man Strom und Fernwärme mitrechnet – für ein Viertel aller in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich: Über 200 Millionen Tonnen waren es im Jahr 2020.
Leo von Berger, der beim Investmentmanager Empira Group unter anderem für Nachhaltigkeit verantwortlich ist, hat einst als Zimmermann begonnen und erinnert sich: „Energiesparhäuser wurden schon in den 90ern gebaut, viele Ansätze, Ideen und Techniken sind schon lange da. Doch jetzt entsteht erst das entsprechende Bewusstsein.“ Ein Bewusstsein, das man übrigens auch bei Viessmann zur Kenntnis nimmt. „Die Nachfrage nach Wärmepumpen ist durch die Decke gegangen“, sagt Sprecher Wolfgang Rogatty. Wobei der Schwerpunkt nicht bei Eisspeicher-Anlagen liegt, sondern bei Luft-Wasser-Wärmepumpen, die der Außenluft die Heizenergie abluchsen.
Das neue Bewusstsein dürfte allerdings nicht allein der Liebe zum Klima geschuldet sein, sondern auch wirtschaftlichen Gründen: Der Preis für Erdgas ist im Zuge des Krieges in Osteuropa in die Höhe geschnellt. Und selbst wer ihn sich noch leisten kann, kann auch jetzt noch nicht sicher sein, dass es überhaupt bis zum Ende des Winters Erdgas gibt. Da verspricht eine Heizung mit Wind, Sonne und einem Eiswürfel deutlich mehr Sicherheit.
Seite 2: Wenn die „Sendung mit der Maus“ wie Science Fiction klingt
0 Kommentare
- anmelden
- registrieren
kommentieren