- Von Jens Lehmann
- 30.05.2023 um 13:36
Keine Rentengarantie, dafür aber die Chance auf höhere Kapitalerträge: Als das Sozialpartnermodell (SPM) vor fünf Jahren von der früheren Arbeitsministerin Andrea Nahles auf den Weg gebracht wurde, waren die Erwartungen groß. Von einer Revolution der betrieblichen Altersversorgung (bAV) war die Rede, von einem überfälligen Paradigmenwechsel in der Gestaltung der Altersversorgung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Doch nach dem gefeierten SPM-Start tat sich sehr lange – nichts.
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„Man darf den Bogen in der bAV nicht überspannen“
Das lag vor allem an Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Seit 2018 erlaubt ihnen das Betriebsrentenstärkungsgesetz, gemeinsam Sozialpartnermodelle für die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten auszuhandeln und per Tarifvertrag zu besiegeln. Doch erste Verhandlungen in einzelnen Branchen verliefen zäh. Das lag vor allem daran, dass es im Sozialpartnermodell keinerlei Rentengarantie gibt. Denn im neuen bAV-Konzept gibt der Arbeitgeber eine reine Beitragszusage, ganz nach dem Motto „Pay and Forget“: Er steht nur für die vereinbarten Beitragszahlungen in der Pflicht, nicht aber für die Verzinsung des Kapitals oder die Höhe der Zahlungen im Alter.
Statt einer Garantierente peilen die Sozialpartner im neuen Versorgungsmodell lediglich eine Zielrente an, die auch geringer als gedacht ausfallen kann – ein Paradigmenwechsel in der betrieblichen Altersversorgung. Selbst in der Bezugszeit kann die Rente schrumpfen. „Die gesetzlichen Anforderungen und ihre möglichen Auswirkungen sind in vielfacher Hinsicht neu und komplex, sodass die Tarifparteien Zeit gebraucht haben, um zu einer Einigung zu kommen“, begründet Heinke Conrads, im Vorstand von Allianz Leben verantwortlich für die Ressorts Firmenkunden und Personal, die ungewöhnlich lange SPM-Anlaufphase.
Das SPM kommt in die Gänge
Auch organisatorisch hat das SPM alle Akteure vor neue Herausforderungen gestellt. So mussten die Versorgungseinrichtungen, die das Kapital über Direktversicherungen, Pensionsfonds und -kassen verwalten, erst neue SPM-Produkte entwickeln. All das hat Zeit gekostet. Und dann kamen auch noch Corona, der Ukraine-Krieg und die Inflation hinzu. Kurz: Das neue Versorgungsmodell hatte einen richtig miesen Start.
Doch nun endlich kommt es in die Gänge. Im Herbst haben sich die Tarifparteien der Chemieindustrie darauf geeinigt, eine Betriebsrente als reine Beitragszusage zu starten. Damit ist die Branche die bundesweit erste mit SPM. Auch das durch die Gaskrise bekannt gewordene Energieunternehmen Uniper nutzt das SPM über einen Haustarifvertrag. „Ganz sicher werden Sozialpartnermodelle in weiteren Branchen folgen“, sagt Fabian von Löbbecke, Vorstandsmitglied des Lebensversicherers HDI, voraus.
Denn das Modell eröffnet Beschäftigten die Chance auf eine vergleichsweise hohe Rendite für die Rente. Durch den Verzicht auf Garantieleistungen können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in größerem Umfang von den Renditechancen am Kapitalmarkt profitieren. Die Beiträge werden investiert, ohne dass ein Teil davon für Garantien reserviert werden muss. Daraus ergeben sich Renditevorteile. Auch deshalb rechnet HDI-Experte von Löbbecke damit, dass der Abschluss in der Chemiebranche mittelfristig Signalwirkung für weitere Sozialpartnermodelle haben und auch die betriebliche Altersversorgung insgesamt mehr in den Fokus von Beschäftigten und Unternehmen rücken wird.
Dieser neue Schwung für die bAV ist auch dringend nötig. Denn noch immer ist nur rund die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland betrieblich abgesichert. Bei den unteren Einkommen stehen laut einer aktuellen Deloitte-Studie zur betrieblichen Altersversorgung sogar noch immer rund 70 Prozent ohne bAV da. „Speziell bei mittleren und kleinen Betrieben ist da sehr viel Luft nach oben“, sagt Cordula Vis-Paulus. Doch das Thema rücke gerade bei den Jüngeren immer mehr in den Fokus. „Ihnen ist vollkommen klar, dass die gesetzliche Rente für ihre Altersabsicherung nicht ausreichen wird“, so die bAV-Beraterin. Darum ist die bAV so wichtig für sie. Folglich werde der „Druck von unten“ auf die Betriebe deutlich steigen, ihren Beschäftigten ein gutes Versorgungsmodell anzubieten.
Zeitenwende am Arbeitsmarkt
Für Unternehmen ist dieser Druck heute schon spürbar. Bevor Bewerberinnen und Bewerber in einem Betrieb anheuern, erkundigen sich viele zuvor danach, welche bAV-Lösung der Boss zu bieten hat. „Die betriebliche Altersversorgung ist zu einem zentralen Kriterium geworden, nach dem Arbeitnehmer ihren künftigen Arbeitgeber auswählen“, bestätigt von Löbbecke. Das gelte besonders bei der Rekrutierung von Hochqualifizierten. „Wir erleben auch auf dem Arbeitsmarkt eine Zeitenwende“, sagt auch Michael Schäfer, Leiter bAV für Liechtenstein Life. „Der Fachkräftemangel und der sogenannte ‚run for talents and experts‘ definieren auch die Chancen für die bAV neu.“ Im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte würden innovative bAV-Lösungen zunehmend zu einem wichtigen Instrument zur Mitarbeiterbindung und -gewinnung.
Ein Sozialpartnermodell wie in der Chemiebranche könnte Arbeitgebern dabei künftig Vorteile bringen. Trotz fehlender Rentengarantie. „Wir müssen uns generell bei allen Lösungen der betrieblichen Altersversorgung von der Illusion verabschieden, dass sehr hohe Garantien per se unseren Wohlstand absichern. Sie sichern uns nur gegen den Totalverlust unseres eingezahlten Kapitals ab“, sagt Schäfer. Mit Garantieleistungen könne die Inflationsrate nicht einmal ansatzweise ausgeglichen werden. „Man erhält also bei Auszahlung die nominell eingezahlten Beträge, verliert somit effektiv an Wert und Kaufkraft.“
Das reicht offenbar immer weniger Kunden aus. Im Bereich der privaten Altersvorsorge beobachtet von Löbbecke bereits „einen massiven Schwenk auf fondsgebundene Lösungen, die die Chance auf eine höhere Rendite bieten“. Parallel dazu steige auch im Bereich der bAV die Akzeptanz für risikoreichere Konzepte. Das deckt sich mit den Ergebnissen der Deloitte-Studie. Danach sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereit, bei der bAV zunehmend Garantien zugunsten der Rendite aufzugeben.
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