Bei nachhaltigen Geldanlagen wird oft an regenerative Energiegewinnung, zum Beispiel Windenergie, gedacht. Dabei sollten nicht nur Umweltaspekte berücksichtigt werden - die Kriterien Soziales und Unternehmensführung sind für vollwertige ESG-Anlagen gleichfalls wichtig. © Pixabay
  • Von Redaktion
  • 14.06.2023 um 08:47
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Kein Kunde will sich wirklich intensiv mit nachhaltigen Anlagen beschäftigen. Oder doch? Martin Stenger, Vertriebsdirektor von Franklin Templeton und Altersvorsorge-Spezialist, nimmt Stellung zu aktuellen, teils kontroversen Thesen in puncto Nachhaltigkeit im Kapitalmarkt.

These 1: Investitionen in nachhaltige Produkte kosten Rendite.

Diese These ist längst widerlegt. Zwar gab es im vergangenen Jahr durchaus hohe kurzfristige Sondergewinne in nicht-nachhaltigen Bereichen wie Öl und Gas. Denn hier herrschte aufgrund der geopolitischen Krise großer Nachfrageüberhang. Aktuell und auch auf langfristige Sicht erzielen nicht-nachhaltige Investments aber keine höheren Renditen als nachhaltige. Der Renditeverzicht gehört in die Mottenkiste der Vorurteile! Oft vergessen wird auch die höhere Robustheit der ESG-Werte. Das bedeutet, sie erholen sich schneller nach einer Krise als nicht nachhaltige Positionen. Das haben Studien  belegt, etwa von der Universität Hamburg.

These 2: Die EU-Klassifizierung nachhaltiger Produkte ist zu kompliziert und den Kunden schwierig zu erklären.

Eigentlich wäre das nicht der Fall. Die EU ist schrittweise vorgegangen, sie startete erst möglichst breit mit der ESG-Regulierung und wird nun immer spezifischer. Durch die Offenlegungsverpflichtung müssen Produktgeber Einblick in die Zielinvestments gewähren. Die Vermittler sollen daraus dann die Chancen und Risiken aus der ESG-Perspektive ableiten. Also zum Beispiel Positives wie weniger Emissionen oder Negatives wie Bodenerosion/Überflutungen. Nun hat aber die Aufsicht ESMA alles verkompliziert, zum Beispiel werden zwei verschiedene Quotenwerte (SFDA und Taxonomie) in einem Produkt getrennt ausgewiesen. Das ist vielen Vermittlern zu komplex. Ergebnis: Sie kreuzen absichtlich ‚Nein‘ bei der Kundenabfrage der ESG-Präferenzen an. Damit sparen sie sich Abfrage und Dokumentation, verkaufen dem Kunden aber dennoch die von ihm gewünschten ESG-Produkte. Diesen Vorgang nennt man ESG-Bleaching, er stellt eigentlich das Gegenteil von Greenwashing dar.

These 3: ESG-Bleaching ist kontraproduktiv.

In der Tat. Einerseits kann man dadurch die Lenkungswirkung im Markt nicht messen. Die EU prüft natürlich, inwieweit ihre Regulierung im Markt greift. Wenn dann laut Dokumentation auf dem Papier zu wenig nachhaltige Produkte vermittelt werden, reguliert sie künftig wohl noch strenger. Und andererseits ist ein ESG-konformer Bestand in 15 bis 20 Jahren sicherlich mehr wert als ein Bestand, in dem viele nicht nachhaltige Produkte stecken. Vermittler sollten also schon in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse die Finger vom ESG-Bleaching lassen.

These 4: Die verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen lässt den Verkauf nachhaltiger Produkte steigen.

Das wird sich zeigen. Viele Vermittler sitzen hier einer Fehleinschätzung auf, nämlich dass ihre Kunden gar nicht so stark an nachhaltigen Produkten interessiert sind. In meinem Webinar  hat eine Diplom-Psychologin über ihre repräsentative Umfrage referiert, was Kunden grundsätzlich über Nachhaltigkeit denken, und dies auf Finanzprodukte projiziert. Ergebnis: Mehr als 50 Prozent würden gern ausschließlich in nachhaltige Produkte investieren und wären sogar bereit, dafür einen Aufpreis zu zahlen! Es gibt dabei keine Unterschiede zwischen Stadt und Land, oder was Berufsbild oder Alter anbelangt. Das Potenzial ist mehr als da. Ich trainiere daher mit Vermittlern nicht, wie sie Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen, sondern Kunden grundsätzlich auf das Thema ESG hin ansprechen.

These 5: „Dunkelgrüne“ Artikel-9-Fonds werden weniger stark nachgefragt als Artikel-8-Fonds.

Das ist zwar noch so, wird sich aber bald ändern. „Dunkelgrün“ ist übrigens eine einseitige Betrachtung, die sich nur auf das E in ESG bezieht. Das sehe ich kritisch. Denn ein Artikel-9-Fonds ist eben nicht nur grün. In der Vermarktung auf dem deutschen Markt kommen S und G leider oftmals zu kurz. Artikel-9-Fonds gelten als die reineren ESG-Fonds, weil dafür die Kriterien strenger sind. Aber Artikel-8-Fonds mit sauberem Ausschlusskatalog wirken kaum anders als ein Artikel-9-Fonds. Wir haben das anhand zweier vergleichbarer ETFs ausgerechnet . Es kommt dabei darauf an, wie ernsthaft die Ausschlüsse betrieben werden. Empfehlenswert ist etwa der Ausschlusskatalog des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) in Verbindung mit dem von Bankenverbänden, BVI und Deutsche Derivate Verband (DDV) entwickelten Verbändekonzept zur Nachhaltigkeitsklassifizierung.

These 6: Die EU-Kommission hat Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft, das schadet der Glaubwürdigkeit der EU in Sachen Nachhaltigkeit.

Bei dieser These bin ich zwiegespalten, denn die Kunden können schließlich stets auch Produkte wählen, die nicht in Atomkraft und Erdgas investieren, zum Beispiel über die Ausschlüsse. Auch wir verfügen über ein solches Produkt. Wir wollen den Vermittler gar nicht in die Diskussionsfalle mit dem Kunden tappen lassen, ob Atomkraft und Erdgas nun nachhaltig sind oder nicht.

 

Autor Martin Stenger, Vertriebsdirektor von Franklin Templeton und Altersvorsorge-Spezialist

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