- Von Andreas Harms
- 16.08.2023 um 13:21
Der Anhang ist mit fünf Seiten deutlich länger als das Schreiben. Denn der Brief selbst ist gerade mal zwei Seiten lang. Doch die haben es in sich, der Begriff „Brandbrief“ trifft es ziemlich gut (hier ist er). Thema ist die Rentenpolitik der Regierung, gerichtet ist er an Wirtschaftsminister Robert Habeck. Absender ist dessen wissenschaftlicher Beirat unter Vorsitz des Volkswirtschaftsprofessors Eckhard Janeba von der Universität in Mannheim.
Der Beirat besteht aus 41 Wirtschaftsexperten, die den Wirtschaftsminister in Fachfragen beraten. Das machen sie ehrenamtlich. Aber auch unabhängig vom Wirtschaftsministerium tauschen sie sich gegenseitig zu selbst ausgesuchten Themen aus und veröffentlichen ihre Ergebnisse. Zwei der bekanntesten Beiratsmitglieder dürften der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, und der ehemalige Ifo-Chef Hans-Werner Sinn sein.
Jawoll, DAS nenne ich mal ein Konzept zur Altersvorsorge
Was die Fokusgruppe private Altersvorsorge vorschlägt
Was die Rentensysteme von Schweden und Deutschland unterscheidet
Im Grunde geht es in dem Schreiben um Mathematik: Laut Koalitionsvertrag will die Regierung das Mindestsicherungsniveau von 48 Prozent dauerhaft erhalten. Allerdings altert die Bevölkerung und weniger junge Menschen rücken nach. Deshalb müssen Beiträge und Bundeszuschüsse steigen und parallel dazu die Menschen später in Rente gehen. Und weil das alles irgendwie so gar nicht zusammenpassen will, wird der Expertenrat in drei Punkten deutlich.
Das Mindestsicherungsniveau
Der Beirat „warnt eindringlich davor“, das Niveau von 48 Prozent für alle Einkommensgruppen halten zu wollen. Stattdessen solle man Prioritäten setzen. Wie die aussehen sollten, lässt er zwar offen. Es ist jedoch anzunehmen und wäre auch sozial, dass der Beirat die Grenze nur noch für Geringverdiener gelten lassen will und insbesondere bei Gut- und Topverdienern Abschläge bevorzugt.
Denn wenn das nicht passiert – so hat der Beirat errechnet –, müsste in den 2040er Jahren schon die Hälfte des Bundeshaushalts in die Rente fließen. Das würde andere wichtige Aufgaben verdrängen, zum Beispiel in Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur.
Das Renteneintrittsalter
Ja, bis 2030 soll das Eintrittsalter auf 67 Jahre steigen. So weit, so bekannt. Allerdings hebelt die „Rente mit 63“ diesen Plan aus. Denn wie der Beirat feststellt, nutzen derzeit rund 260.000 Menschen pro Jahr diese Regelung zum Frühausstieg. Das ist fast jeder dritte Neurentner.
Und was das Fachkräfte- und Beitragsproblem zusätzlich verschärft: „Entgegen landläufiger Vorstellung wird sie [die Rente mit 63] überwiegend von gut ausgebildeten, überdurchschnittlich verdienenden und gesünderen Menschen in Anspruch genommen.“
Für die Experten ist die Rente mit 63 „aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine höchst problematische Regelung“. Wenn die Ampel trotzdem an ihr festhalten will, dann sollte sie – analog zum Mindestsicherungsniveau – Prioritäten setzen. Und hier erklären sie auch, was sie damit meinen: Früher in Rente sollen nur jene gehen dürfen, „die gesundheitlich und/oder einkommensmäßig weniger privilegiert sind“. Drastisch ausgedrückt hieße das: wer arm oder krank ist.
Altersvorsorge mit Aktien
Grundsätzlich findet es der Beirat in Ordnung, dass die Regierung die sogenannte „kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken“ will. Sprich: Weniger Umlage, mehr Investmentvermögen mit Aktien.
Allerdings sollte der Schwerpunkt nicht auf einem „öffentlich verantworteten Fonds“ liegen, wie es das Generationenkapital ja sein soll. Internationale Erfahrungen hätten gezeigt, dass solche Fonds nur unterdurchschnittliche Renditen abwerfen. Sogar der Aktienfonds AP7 im schwedischen Rentensystem werde privatwirtschaftlich gemanagt (mehr zum schwedischen System lesen Sie hier).
In seinem Lösungsvorschlag outet sich der Expertenrat als Fan der Betriebsrente. „Sie zu stärken und vor allem mittels einer Standardbetriebsrente auf kleinere und mittlere Unternehmen auszuweiten, erscheint dem Beirat die bessere Strategie zu sein als eine neue kapitalgedeckte Säule mit einer eigenen Administration aufzubauen“, heißt es in dem Schreiben.
„Rentenpolitik ist immer auch Wirtschaftspolitik“, machen die Experten gleich im ersten Absatz ihres Schreibens klar. Und ja, das bringt einiges auf den Punkt. Im letzten Absatz hingegen bitten sie den Wirtschaftsminister eindringlich darum, in der weiteren Rentendiskussion „die langfristige gesamtwirtschaftliche Perspektive zu betonen“. Mal schauen, ob er drauf hört.
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