Sitz der Bafin in Bonn: Die Behörde hat genaue Vorstellungen, wie Lebensversicherungen den Kunden nützen sollen © picture alliance / | Daniel Kalker
  • Von Andreas Harms
  • 06.09.2024 um 15:41
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Die kraftvolle Rede der Bafin-Aufseherin Julia Wiens lässt sich ohne weiteres als dickes Ausrufezeichen verstehen. Doch sie ließ auch einige Fragen offen, zum Beispiel zum Kundennutzen von Lebensversicherungen. Mehr Details klärt ein Bericht der Bafin, aus dem wir hier einige Höhepunkte nennen wollen.

Bereits bevor die Versicherungsaufseherin Julia Wiens die Lebensversicherer mit ihrer Rede kräftig aufrüttelte, beschrieb die Finanzaufsicht Bafin die Problematik mit dem Kundennutzen von Lebensversicherungen schon etwas näher. In einem Beitrag auf ihrer Website ging sie weiter ins Detail, was Stornoquoten, Kosten und Zielmärkte angeht. Und was sie schätzt, und was sie so gar nicht mag.

Geprüft hat sie bislang 13 Lebensversicherer, die zusammen mehr als 20 Prozent des Marktes abdecken. Der Schwerpunkt liegt auf der privaten Altersvorsorge, also einer Spezialdisziplin der Versicherungsbranche.

Los ging es schon mit der Produktfreigabe, bei der die Bafin-Prüfer formale Mängel feststellten. Demnach hatten die Anbieter Defizite bei den „Grundsätzen der Aufsicht und Lenkung“. Das sind interne Leitlinien, die die Anforderungen an das produkbezogene Freigabeverfahren festlegen. Doch auch die Produktfreigabeverfahren selbst waren betroffen. Sie greifen immer dann, wenn der Versicherer ein neues Produkt auf den Markt bringt oder eines „wesentlich verändert“, wie die Bafin es ausdrückt.

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Doch die Behörde grollt. Denn offenbar beachten einige der nun geprüften Lebensversicherer die 2018 veröffentlichten Regeln für die Verfahren nicht. Los geht es zum Beispiel schon bei der oft ungeklärten Frage, was eine „wesentliche Änderung“ überhaupt ist. Wir haben mal nachgesehen und lösen auf:

Neue beziehungsweise wesentlich veränderte Versicherungsprodukte liegen vor, wenn der Versicherer mit der Neuheit oder der Änderung wirbt oder sich der angepeilte Zielmarkt ändert. Eine Änderung kann auch dann wesentlich sein, wenn sie aus Sicht der Adressaten im Zielmarkt als wesentlich herüberkommt. Zum Beispiel dann, wenn eine Kombi-Versicherung für verschiedene Risiken um ein weiteres Risiko ergänzt wird.

Andere Mängel tun sich in Hinblick auf das einigermaßen berüchtigte „Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“ auf. Denn die Produktanbieter halten das Merkblatt laut Bafin nicht ein.

Produkte müssen Bedürfnissen im Zielmarkt entsprechen

Wobei die Kernbotschaft lautet: Die Produkthersteller müssen für ihre Produkte einen Zielmarkt bestimmen. Und die Produkte müssen den Bedürfnissen der Kunden entsprechen, die zum Zielmarkt gehören. Nur dann haben die Produkte einen angemessenen Kundennutzen.

Dieser angemessene Kundennutzen verlangt aber nicht mal, dass jeder einzelne Kunde einen Vorteil erwirbt. Wobei die simple Frage gestattet sein sollte, ob nicht jedes irgendwo gekaufte Produkt mit irgendeinem Vorteil daherkommen sollte. Also auch Lebensversicherungen Doch der Bafin reicht das Gesamtbild aus: Der Zielmarkt in Gänze muss einen Nutzen aus dem Produkt ziehen. Und das Renditeziel muss „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden“.

Außerdem sollen die Versicherer mögliche Stornoquoten mit berücksichtigen: Bis wann wird die Hälfte der Zielkunden voraussichtlich ihren Vertrag vorzeitig gekündigt haben? Wer seinen Vertrag länger hält, muss einen angemessenen Nutzen daraus ziehen. Wenn das nicht klappt, eignet sich das Produkt auch nicht für den Zielmarkt, so das harte Urteil der Bafin.

Nebenbei bemerkt: Als durchschnittliche jährliche Stornoquote für fondsgebundene Lebensversicherungen hat die Bafin 2022 einen Wert von 3,14 Prozent ermittelt. Demnach hätte sich der Kundenbestand nach etwa 22 Jahren halbiert.

Lebensversicherungen mit einkalkulierter Kündigungswelle?

Und noch ein Sonderfall: Was ist, wenn es sogar zu den Bedürfnissen der Zielkunden passt, dass sie den Vertrag vorzeitig kündigen? Sozusagen eine mit einkalkulierte Kündigungswelle? Dann müssen die Versicherer die Storno-Erwartung höher ansetzen und eventuell die Kosten zeitlich besser verteilen.

Denn bei beiden Punkten – Storno und Kosten – liegt wohl einiges im Argen. Bei manchen untersuchten Produkten hatte die Hälfte der Kunden ihren Vertrag schon in den ersten Jahren wieder beendet. Und wie auch Julia Wiens schon anmerkte, lagen bei manchen Produkten die Effektivkosten bei 4 Prozent oder höher. Das über die Rendite wieder rauszuholen, finden die Aufseher im aktuellen Marktumfeld reichlich ambitioniert. Ihr nüchternes Urteil: „Diese Produkte haben keinen angemessenen Kundennutzen.“

Und wenn der Nutzen nicht erkennbar ist oder der Zielmarkt nicht passt? Dann ist das laut Bafin ein Missstand im Sinne der allgemeinen Aufsicht. Und dann kann sie durchgreifen und zum Beispiel:

  • Den weiteren Vertrieb von Produkten verbieten
  • Einzelne Vertriebswege oder die Zusammenarbeit mit einzelnen Versicherungsvermittlern beenden
  • Bei fondsgebundenen Policen kostengünstigere Fonds mit vergleichbarer Anlagestrategie verlangen
  • Die Geschäftsleiter verwarnen

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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