- Von Redaktion
- 15.11.2024 um 11:33
Pfefferminzia: Warum lassen manche Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage ihrer Kunden bleiben und kreuzen einfach nein an?
Martin Klein: Nach unserer Wahrnehmung ist die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen nicht nur für die Vermittler abschreckend, sondern insbesondere für die Kunden. Dies liegt schlicht und einfach daran, dass der europäische Gesetzgeber die Anforderungen für die Ermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen in einer Art und Weise ausgestaltet hat, die insbesondere die Kunden überfordert.
Hinter den Leitlinien der europäischen Finanzmarktaufsicht Esma versteckt sich die Forderung gegenüber den Vermittlern, den Kunden letztendlich sowohl die Taxonomieverordnung als auch die Offenlegungsverordnung und darüber hinaus das Konzept der Principal Adverse Impacts (PAI) zu erläutern.
Selbst wenn man das wie gefordert mit dem Ansatz versucht, Fachausdrücke zu vermeiden, sind die meisten Kunden hierbei tatsächlich überfordert. Sie sehen sich einer Vielzahl von Begriffen und Fragen ausgesetzt, die für sie komplettes Neuland sind. Dies unterscheidet die Situation beispielsweise von einer Befragung, die im Rahmen von Straßeninterviews erfolgt, in denen Passanten lediglich gefragt werden, ob sie bei ihrer Kapitalanlage auch an dem Thema Nachhaltigkeit interessiert sind. Die Antwort hier braucht allenfalls wenige Minuten.
„Kunde sagt häufig von sich aus nein“
Die dort erzielten Ergebnisse sind daher tatsächlich nicht zu vergleichen mit denen, die in der konkreten Beratungssituation erzielt werden. Der Kunde hat zum Zeitpunkt der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage bereits eine umfassende Geeignetheitsbefragung hinter sich, in der er sich unter anderem zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen erklären musste, seine Risikobereitschaft hinterfragt wurde und seine primären Anlageziele verdeutlichen musste.
Ein Kunde, der dann mit einer weiteren Befragungsstrecke von bis zu 30 ergänzenden Detailfragen konfrontiert wird, sagt häufig von sich aus nein und erachtet es als ausreichend, wenn ihm bei den Anlagevorschlägen auch solche vorgestellt werden, die das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigen, ohne dass er hier selbst gezwungen ist, konkrete Festlegungen zu treffen.
Es ist daher die Überkomplexität die für beide Parteien des Beratungs- beziehungsweise Vermittlungsgesprächs abschreckend wirkt.
Welche rechtlichen und finanziellen Folgen könnte es für Vermittler haben, gar nicht erst zu fragen?
Klein: Die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage ist verpflichtend. Verstößt der Vermittler nachweisbar regelmäßig gegen seine Pflicht, Nachhaltigkeitspräferenzen zu erfragen, ist das eine Ordnungswidrigkeit, die maximal mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 Euro bestraft werden könnte.
Welche Prüfer geeignet sind
Können die Industrie- und Handelskammern als Aufsicht überhaupt eine wirksame Kontrollfunktion ausüben?
Klein: Die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß Paragraf 16 der Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (FinVermV) gehört zu dem Katalog der Pflichten, die jeder Vermittler im Kalenderjahr durch einen geeigneten Prüfer prüfen lassen muss. Geeignete Prüfer sind bekanntlich Wirtschaftsprüfer, vereidigte Prüfer, Wirtschaftsprüfungen und Buchprüfungsgesellschaften, aber auch Steuerberater oder im Banken- und Kapitalmarktrecht vorgebildete Rechtsanwälte.
Diese Prüfer haben, um einen vollständigen Prüfbericht abzugeben, selbstverständlich auch zu prüfen, ob der Vermittler seine Befragungs- und Empfehlungspflichten nach der FinVermV angemessen erfüllt hat. Die IHK als Aufsicht überprüft sodann die rechtzeitige Vorlage der Prüfberichte und wird aktiv, sofern in den Prüfberichten Hinweise auf Verstöße enthalten sind.
Insoweit ist mir aus meiner Tätigkeit als Anwalt bekannt, dass die jeweiligen IHKn ihrer Kontrollfunktion durchaus nachkommen und auch Nachfragen an die Prüfer beziehungsweise den Geprüften richten.
Wie können Politik und IHKn darauf einwirken, dass Vermittler ihrer Verpflichtung künftig besser nachkommen und welche Hürden müssten dafür beseitigt werden?
„Aufgabe muss in Europa gelöst werden“
Klein: Ich sehe hier nicht die Politik in der Pflicht auf die IHKn einzuwirken, sondern die Politik ist tatsächlich in der Pflicht, die misslungene Nachhaltigkeitspräferenzabfrage gänzlich neu auszugestalten. Dies ist jedoch keine Aufgabe, die allein in Deutschland gelöst werden kann, sondern es muss, da es sich um eine europäische Rechtgrundlage aus einer Delegierten Verordnung handelt, in Europa gelöst werden.
Hier gibt es im Rahmen der aktuellen Nachhaltigkeits-Reviews Ansätze, bei denen auch die Produktdefinition im Hinblick auf Nachhaltigkeit verändert und vereinfacht werden sollen. So sollen auch die Berichtspflichten drastisch eingeschränkt werden, um den Bürokratieaufwand einzudämmen. Selbst das Grüne Wirtschaftsministerium hat inzwischen eingesehen, dass beispielsweise das Lieferkettengesetz in der Praxis nicht umsetzbar ist.
Bedauerlicherweise wird die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage voraussichtlich erst am Ende dieser Entwicklung erneut in die Hand genommen werden. Bis dahin müssen Vermittler die Chance ergreifen, Brücken zu nachhaltigen Investments zu bauen, die einen Kompromiss schaffen können. Dies kann beispielsweise mit folgender Fragestellung an den Kunden erfolgen: „Wenn Sie keine eigene Festlegung zur Nachhaltigkeit der von ihnen gewünschten Kapitalanlage treffen wollen, sind Sie dennoch daran interessiert, dass ich Ihnen eine Kapitalanlage vorstelle, die das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigt und Ihnen erläutere, in welcher Form dies erfolgt?“
Das Thema ist tatsächlich zu wichtig, als dass sich Kunden und Vermittler ihr Interesse daran durch eine misslungene Regulierung verderben lassen sollten.
Es muss ebenfalls klar geregelt werden, dass Vermittler nicht für Nachhaltigkeitsaussagen von Anbietern in die Haftung genommen werden können.
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