- Von Sabine Groth
- 28.11.2024 um 09:57
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird kaum zwischen Gefahr und Risiko unterschieden. Die Wörter werden oft synonym verwendet. Auch im Versicherungsjargon werden sie häufig vermischt. Die Allgefahrenversicherung ist auch als All-Risk-Versicherung bekannt. In einigen Bereichen kann es jedoch wichtig sein, die beiden Begriffe nicht gleichzusetzen. Prominentes Beispiel ist die Lebensmittelsicherheit. „Denn ob etwa ein Stoff eine Gefahr oder ein Risiko darstellt, hat teilweise erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit diesem und beeinflusst die wissenschaftliche Risikobewertung“, heißt es vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Um das besser zu verstehen, ist eine Definition der beiden Begriffe hilfreich. Eine Gefahr ist etwas, was jemandem schaden kann. Ein Risiko ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gefahr einen Schaden verursacht. Ein Beispiel: Beim Kauen von Leinsamen wird Blausäure freigesetzt, eine giftige, gefährliche Substanz. Bis zu einer bestimmten Menge hält das BfR den Verzehr allerdings für unbedenklich, sieht also kein Risiko für die Gesundheit. Ein allgemeineres Beispiel liefert der Tiger, der als Raubtier potenziell eine Gefahr für Menschen darstellt. Begegnet man ihm in freier Wildbahn, ist das Risiko hoch, Schaden zu erleiden. Bestaunt man den Tiger hingegen in einem gut abgesicherten Zoogehege, ist die Begegnung nahezu risikolos.
Aber was hat das alles mit Altersvorsorge zu tun? Auch dort, genaugenommen bei der Bewertung von Geldanlagen, kann eine Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Hier gilt ebenso wie bei der Blausäure oder dem Tiger: Nicht alles, was gefährlich ist, muss automatisch risikoreich sein.
Bestes Beispiel dafür sind Investments an den Aktienmärkten, beispielsweise über Investmentfonds. Aktieninvestments sind aufgrund ihrer relativ starken Kursschwankungen gefährlich. Sie können Anlegern schaden, indem sie ihnen Verluste bei einem Verkauf zu einem ungünstigen Zeitpunkt bereiten. Um ihre Tauglichkeit für die Altersvorsorge zu bewerten, ist jedoch nicht nur ihre Einstufung als Gefahr zu berücksichtigen. Viel wichtiger ist ihr Risiko, also die Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden tatsächlich eintritt, Anleger Verluste erleiden und sie am Ende weniger zurückerhalten, als sie investiert haben.
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Kurzfristig risikoreich, langfristig risikoarm
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Risiko, mit Aktien Verluste einzufahren, auf kurze Sicht hoch ist, und diese auch sehr stark ausfallen können. Mit zunehmender Anlagedauer nehmen Risiko und Verlustausmaß jedoch ab. Die Rendite-Dreiecke des Deutschen Aktieninstituts (DAI) und deren Auswertungen illustrieren diese Entwicklung sehr anschaulich. Am Rendite-Dreieck zum DAX lässt sich ablesen, welche jährliche Rendite fiktive Investments in den deutschen Aktienindex über verschiedene Zeiträume erbracht hätten.
Aus den Daten wurde der sogenannte Renditetrichter gebildet, der die schlechteste, die beste und die durchschnittliche Performance für mehrere Anlagezeiträume anschaulich darstellt. Betrachtet werden vom DAI die vergangenen 30 Jahre. Wer sein Geld nur für ein Jahr investiert hatte, machte bei einem monatlichen Sparplan im schlechtesten Fall ein Minus von fast 50 Prozent, im besten Fall ein Plus von mehr als 100 Prozent, im Durchschnitt gab es 12,9 Prozent. Auch über eine Anlagedauer von fünf und zehn Jahren gab es noch Fälle, in denen Verluste erzielt wurden. Allerdings waren diese schon nicht mehr so extrem. Der schlechteste Zehn-Jahres-Zeitraum endete mit einem Minus von 1,9 Prozent. Ab einer Laufzeit von 13 Jahren gab es beim aktuellen Dax-Rendite-Dreieck für monatliche Sparpläne keinen Verlustfall mehr, und bei 30 Jahren liegt der schlechteste Verlauf mit 6,1 Prozent p.a. deutlich im Plus.
Diese Entwicklung, obwohl nicht immer mit den gleichen Zahlen, ist typisch für Aktieninvestments. Mit zunehmender Anlagedauer stabilisieren sich in der Regel die durchschnittlichen jährlichen Anlagerenditen. Die Schwankungen nach unten und oben nehmen ab. Dies führt zu einer Trichterform in der grafischen Darstellung: Anfangs breit, aufgrund der starken Ausschläge bei kurzer Laufzeit, verengt sich der Trichter mit der Zeit und bleibt dann schmal. Die maximalen und minimalen Werte konvergieren zunehmend zum Durchschnitt. Um die Vorteile von langfristigen Aktieninvestments zu veranschaulichen, hat die Rating-Agentur Morningstar ähnliche Analysen für verschiedene Indizes durchgeführt. Das Ergebnis wurde passenderweise als „Morningstar Investment-Trichter“ bezeichnet. Dieses Format zeigt, wie die Renditen mit längerer Anlagedauer tendenziell stabiler werden, was Investoren helfen kann, das Risiko von starken Schwankungen zu minimieren.
Da Vergangenheitswerte nicht einfach in die Zukunft übertragen werden können, wäre es falsch zu behaupten, dass ein gefährliches Aktieninvestment langfristig risikolos ist. Es ist allerdings deutlich risikoärmer als so mancher denkt – selbst, wenn die Inflation berücksichtigt wird.
Tagesgeld kann risikoreicher sein als Aktien
Den Kaufkraftverlust vergessen viele Anleger bei der Einschätzung von Geldanlagen. Auch er ist eine Gefahr, die zu Schaden führt, wenn die Anlage weniger abwirft, als das Kapital durch Inflation an Wert verliert. Als gefahrlos wahrgenommene Anlagen wie Tages- oder Festgeld können daher durchaus gefährlich sein. Das hat sich in der Niedrigzinsphase gezeigt. Gelder auf Tagesgeldkonten haben nach und nach an Kaufkraft verloren. Auch jetzt sind die Zinssätze für Tages- und Festgeld noch relativ gering, während die Inflation gestiegen ist. Das Risiko, das bei einem langfristigen Investment für die Altersvorsorge ein Kaufkraftverlust resultiert, kann deswegen bei Tagesgeld deutlich höher sein als bei einem Aktieninvestment.
Es liegt somit ein Paradoxon vor: Eine gefährliche Anlage kann langfristig risikoarm sein oder eine ungefährliche Anlage kann langfristig risikoreich sein (nach Inflation).
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