35.000 Menschen demonstrieren auf dem Bremer Domshof gegen Rechtsextremismus: Viele Deutsche haben aktuell Angst davor, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert und die Gesellschaft auseinanderdriftet. © picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich
  • Von Barbara Bocks
  • 11.02.2025 um 15:00
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Kurz vor der Bundestagswahl verstärkt sich die Angst vieler Deutscher vor einer gesellschaftlichen Spaltung. Das ist aber nicht die einzige Sorge der Befragten einer aktuellen Studie. Auch ihre eigene finanzielle Situation und die Arbeit der Politiker bemängeln viele.

74 Prozent der Deutschen haben Angst, dass die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet. Gleichzeitig steigen die wirtschaftlichen Sorgen. Das zeigt eine Sonderumfrage vor der Bundestagswahl im Rahmen einer repräsentativen R+V-Langzeitstudie. Im Januar 2025 befragte das Infocenter der R+V Versicherung online 1.000 Bürgerinnen und Bürger dazu.

„Drei Viertel der Deutschen sind in großer Sorge, dass die Spaltung der Gesellschaft zunimmt und zu Konflikten führt“, berichtet Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Bei der regulären Studie im Sommer 2024 lag diese Furcht noch bei 48 Prozent. „Einen derartigen Anstieg einer Angst – um 26 Prozentpunkte — beobachten wir in der Langzeitstudie äußerst selten. Das Ergebnis sollte hellhörig machen“, sagt Brower-Rabinowitsch.

Hängt diese Entwicklung mit dem Anschlag in Aschaffenburg zusammen, der unmittelbar vor der Befragung stattfand? „Ja. Und zwar mit der Art und Weise, wie viele politische Akteure auf den Anschlag reagiert haben“, analysiert Professorin Isabelle Borucki. Die Politikwissenschaftlerin von der Philipps-Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin.

Undifferenzierte Debatte um Migration könnte Spaltung verstärken

„Die teilweise undifferenzierte Debatte um Migration wurde in einer Weise geführt, die an historische Muster erinnert – insbesondere an die Weimarer Republik, als Sündenböcke konstruiert wurden. Migration wird als das zentrale politische Problem gedeutet. Damit werden Feindbilder aufgebaut, die zu einer weiteren Spaltung führen können“, analysiert Borucki.

Die Polarisierung, aber auch der raue Ton in der Politik, verstärkten die Angst der Befragten vor einer gesellschaftlichen Spaltung. „Bemerkenswert ist auch die teilweise unreflektierte Art mancher Medien im Umgang mit Fakten und Meinungen“, sagt Borucki. Zur Furcht vor gesellschaftlicher Spaltung tragen aber noch weitere Faktoren bei. „Dazu zählt das Gefühl abgehängt zu sein, nicht gehört und von der Politik abgewertet zu werden.“

„Düster ist auch der Blick der Deutschen auf ihre finanzielle Situation“, berichtet Studienleiter Brower-Rabinowitsch. Denn 70 Prozent der Befragten haben Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten. Bei der regulären Umfrage im Sommer 2024 waren es noch 57 Prozent. „Die Inflation mag gesunken sein, aber die absoluten Preise sind hoch geblieben. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich ihr Lebensstandard real verschlechtert hat. Besonders spürbar ist dies bei Mieten, Energie- und Lebensmittelpreisen“, so Borucki.

Neue Bundesregierung braucht Konzept gegen wirtschaftliche Schwäche

68 Prozent der Befragten haben außerdem Angst vor einem wirtschaftlichen Einbruch. „Auch hier beobachten wir einen bemerkenswerten Anstieg – um 20 Prozentpunkte“, sagt Brower-Rabinowitsch. Im Sommer 2024 lag die Angst vor einer Rezession noch bei 48 Prozent. „Deutschland befindet sich in einer wirtschaftlichen Schwächephase. Hier muss die Politik dringend Antworten liefern“, fordert Professorin Borucki. „Die neue Bundesregierung braucht ein klares Konzept dafür, wie Deutschland langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann.“

Große Herausforderungen für die Politik, doch ist sie diesen gewachsen? „Das Vertrauen der Deutschen in die Politiker und Politikerinnen ist erschreckend gering“, sagt Brower-Rabinowitsch. „61 Prozent der Befragten fürchten, dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind. Das gilt für die Regierung genauso wie für die Opposition.“

Schulnoten für Politiker fallen vernichtend aus

Schon im vergangenen Sommer war das Vertrauen in die Politiker und Politikerinnen mit 49 Prozent gering, dennoch ist der Anstieg um 12 Prozentpunkte bemerkenswert. „Politik und Bevölkerung entfremden sich immer mehr. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr vertreten, politische Debatten erscheinen oft realitätsfern und von parteipolitischem Kalkül geprägt“, erklärt Professorin Borucki.

Entsprechend schlecht fallen die Schulnoten für die Politiker und Politikerinnen in Regierung und Opposition aus. Mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) vergeben die Note 5 oder 6. „Das ist alarmierend“, mahnt die Politikwissenschaftlerin und weiter: „Sollte sich der Vertrauensverlust vertiefen, könnten sich rechtsextreme Parteien weiter etablieren“.

Mehr Informationen zur R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“ finden Sie hier.

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Barbara Bocks

Barbara Bocks ist seit 2011 als Journalistin im Wirtschafts- und Finanzbereich unterwegs. Seit Juli 2024 ist sie als Redakteurin bei der Pfefferminzia Medien GmbH angestellt.

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