- Von Redaktion
- 30.11.2021 um 11:38
Kann eine vorübergehende Tätigkeit der Versicherungsnehmerin nach Mutterschutz für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt werden? Oder bleibt insoweit ihre „Stammtätigkeit“ als ihr eigentlicher Beruf maßgeblich? Darüber hatte das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken zu befinden (Urteil vom 7. Juli 2021 – Aktenzeichen: 5 U 17/19).
Was war passiert?
Eine Arbeitnehmerin unterhält bei einer Versicherung eine Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) sowie Unfall-Zusatzversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung „Comfort-Schutz“ zu Grunde.
Die Versicherungsnehmerin war seit 2008 bei der Firma X beruflich tätig. Dort arbeitete sie zunächst an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw, wo sie beim Einfahren der Lkw für die Kontrolle der Ladepapiere, nachfolgend für das Wiegen der Lkw beim Herein- und Herausfahren zuständig war. Dieser Tätigkeit ging sie bis zur Geburt ihres Sohnes nach. Nach der Mutterschutzzeit nahm sie im August 2012 ihren Beruf wieder auf. Sie wechselte dann aber auf eigenen Wunsch vorübergehend (befristet auf 18 Monate) in die Verwaltung (Bereich Instandhaltung-Controlling), da sie wegen des Kindes nicht mehr im Schichtdienst arbeiten wollte. Danach sollte sie wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden.
Beginnend ab Oktober 2013 wird sie wegen einer Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankung berufsunfähig. Daraufhin stellte sie bei dem Versicherer einen Antrag auf Leistungen aus der BUZ. Sie sei aufgrund ihrer Erkrankung zur Ausübung ihrer damaligen Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw außerstande gewesen. Daher ging die Versicherte davon aus, dass die Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ zugrunde zu legen sei, bei der es sich nach ihrer Darstellung nicht um eine reine Bürotätigkeit gehandelt habe, weil auch Zuarbeiten zur Dokumentation, zur Unterstützung der Buchhaltung und des Ersatzteillagers beinhaltet gewesen seien und sie deshalb weithin „am Regal“ tätig gewesen sei.
Den Antrag lehnte der Versicherer allerdings ab. Das Berufsbild der Klägerin sei – bezogen auf die von ihr geschilderte Tätigkeit im Verwaltungsbereich – nicht ausreichend dargestellt worden. Nach einer Tätigkeitsbeschreibung des Arbeitgebers der Versicherten habe diese eine reine Bürotätigkeit wahrgenommen, die überwiegend im Sitzen ausgeübt worden sei und nicht körperlich belastende oder in Zwangshaltung vorzunehmende Tätigkeiten beinhaltet habe, die die Klägerin auch mit Rücksicht auf etwaige gesundheitliche Einschränkungen auszuüben in der Lage sei. Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege demgemäß bei ihr nicht vor.
Gegen diese Ablehnung richtete sich die erstinstanzliche Klage der Versicherungsnehmerin. Das Landgericht (LG) Saarbrücken hat der Klage stattgegeben und die beklagte Versicherung zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente sowie zur Beitragsrückgewähr verurteilt. Der Versicherer legte gegen diese Entscheidung Berufung zum OLG Saarbrücken ein.
Die Entscheidung des OLG Saarbrücken
Die Berufung des beklagten Versicherers hatte Erfolg. Der Versicherer sei bei Zugrundelegung der für die Beurteilung ihrer Eintrittspflicht maßgeblichen Tatsachen nicht gehalten, der Klägerin Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu erbringen, so die Richter. Die Klägerin habe demnach nicht bewiesen, dass sie bedingungsgemäß berufsunfähig ist. Die Klage sei unbegründet, weil auf der Grundlage des für die Beurteilung der Frage einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zugrunde zu legenden Sachverhaltes nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin bedingungsgemäß außerstande wäre, ihrem vormals ausgeübten Beruf in seiner hier maßgeblichen Ausgestaltung „in gesunden Tagen“ weiter nachzugehen.
Der Versicherer schulde nach dem Versicherungsvertrag auf der Grundlage der vereinbarten Bedingungen für die BUZ bei bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent eine monatliche Rente sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung. Vollständige Berufsunfähigkeit liege danach vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, bereits sechs Monate ununterbrochen außer Stande gewesen ist oder nach ärztlicher Prognose voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Leistungsbeeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben. Die Berufsunfähigkeit trete rückwirkend zu dem Zeitpunkt ein, ab dem die versicherte Person ununterbrochen außer Stande war, ihren Beruf auszuüben. Sie liege nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen treffe die Versicherungsnehmerin, führte das OLG Saarbrücken aus.
„Stammtätigkeit“ als eigentlicher Beruf ist maßgeblich
Das Gericht habe weiter festgestellt, dass diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre frühere berufliche Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswage der Firma X im bedingungsgemäßen Umfang nicht mehr ausüben kann oder konnte. Diese Tätigkeit sei trotz des vorübergehenden befristeten Wechsels der Klägerin in den Innendienst für die Beurteilung der Eintrittspflicht der Beklagten maßgeblich geblieben, so das OLG.
Zur Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin in ihrem früheren Beruf vorliegt, sei von der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw auszugehen. Denn diese und nicht die erst kurz vorher und von vornherein nur für einen vorübergehendenden Zeitraum übernommene Tätigkeit in der Verwaltung sei für diese Beurteilung maßgeblich geblieben.
Seite 2: Tätigkeit muss Lebensstellung in erheblicher Weise prägen
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