Sven Gábor Jánszky von der Denkfabrik 2b Ahead hat sich mit der Zukunft der BU-Versicherung beschäftigt. © Joerg Glaescher
  • Von Oliver Lepold
  • 04.05.2020 um 11:04
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lesedauer Lesedauer: ca. 03:20 Min

Wie sieht ein renommierter Zukunftsforscher die Berufsunfähigkeitsversicherung? Sven Gábor Jánszky von der Denkfabrik 2b Ahead forscht zu Veränderungen in den Lebenswelten. Pfefferminzia fragte nach, wie sich die Arbeitskraftabsicherung in Zukunft verändern könnte.

Pfefferminzia: Erwerbsbiografien verändern sich. Laut einer Ihrer Studien werden mehr als ein Dutzend Arbeitgeber pro Karriere künftig nicht selten sein. Was bedeutet das für die Anbieter von BU-Versicherungen?

Sven Gábor Janszky: Unsere Grundthese ist, dass sich Versicherungsprodukte durch demografische Veränderungen im Arbeitsmarkt und die Digitalisierung an das veränderte Nutzerverhalten der Kunden anpassen werden. Bei den Erwerbsbiografien ist es sehr wahrscheinlich, dass es nicht nur zu Wechseln innerhalb eines Berufes, sondern auch bei Tätigkeiten und Branchen kommt. Bei der BU-Versicherung prognostizieren wir daher, dass sie entweder deutlich kleinteiliger und auf Zeit abgeschlossen werden wird. Oder dass es zu einer adaptiven Anpassung kommt.

Was bedeutet adaptive Anpassung?

In der Realität wird Adaptivität meistens dadurch hergestellt, dass es einerseits ein kostenloses oder sehr kostengünstiges Grundprodukt gibt. Dieses besteht auf Lebenszeit und sichert dem Versicherer die Kundenbindung. Darauf wird andererseits ein weiteres kostenpflichtiges Produkt gesetzt, das sich fortlaufend flexibel an die sich verändernden Bedürfnisse anpasst. Eine solche Struktur ist auch für die Arbeitskraftabsicherung denkbar. Das bedeutet eine praktisch kostenlose sehr einfache Erwerbsunfähigkeitsversicherung, auf die eine sehr flexible und leistungsstarke BU draufgesattelt wird.

Brauchen wir neue staatliche Vorgaben, um die BU zukunftssicher zu gestalten – etwa bei der Kopplung mit der Betriebsrente, wo der Arbeitgeberwechsel kompliziert ist?

Innovation wird schneller umgesetzt, wenn Druck von außen besteht. Ein gesetzlicher Druck würde daher das ganze System in die Lage versetzen, rascher Zukunftsprodukte anzubieten. Ich denke aber, der Bedarf auf Kundenseite wird durch die Demografie und den Arbeitsmarkt so deutlich wachsen, dass sich dies selbst regulieren wird. Betriebsrenten mit einer BU wird es weiterhin geben, denn der Wettbewerb unter den Arbeitgebern um Fachkräfte wird noch deutlich zunehmen. Sie werden aber gezwungen sein, wesentlich flexibler mit dem Thema umzugehen. Eine Weigerung, eine bereits bestehende BU im Rahmen der Betriebsrente zu übernehmen, wird sich ein Arbeitgeber künftig nicht mehr leisten können. Oft wird er neuen Mitarbeitern sogar ein noch besseres Leistungsniveau anbieten müssen.

In Ihrer Zukunftsstudie für das Jahr 2026 haben Sie Telematik-Tarife in der BU erwähnt, die auf systematischer Messung des eigenen Verhaltens beruhen. Wie würde dies funktionieren?

In der Tat gibt es zwei mögliche Denkrichtungen, die in Richtung der BU der Zukunft gehen. Zukunftsforscher sprechen stets von einer Echtzeitanalyse, also einer automatisierten Analyse von Daten in Echtzeit. Das kann man entweder in Richtung Gesundheit oder in Richtung Kompetenz denken. Denkt man in Richtung Gesundheit, bedeutet das, ein intelligentes System erkennt automatisch den Gesundheitszustand des Versicherten, berechnet die Wahrscheinlichkeit, dass er krank wird oder eine Berufsunfähigkeit eintritt und stellt diese Daten dem Versicherer zur Verfügung. Natürlich mit Zustimmung des Versicherungsnehmers. Auf dieser Basis werden dann die Tarife adaptiert, also fortlaufend angepasst.

Und die Echtzeitanalyse der Kompetenz?

Hier müssen wir die Berufsunfähigkeit ganz neu denken. Bislang steht BU immer nur für die gesundheitliche Unfähigkeit, den Beruf noch ausüben zu können. Aber es gibt auch eine andere Unfähigkeit, den Beruf weiter auszuüben: wenn der Versicherte wichtige Kompetenzen verloren hat oder wenn es seinen versicherten Beruf in dieser Form nicht mehr gibt. Nehmen Sie etwa einen Gabelstaplerfahrer, der heute einen Führerschein benötigt. Künftig werden Gabelstapler autonom fahren, den Beruf wird es nicht mehr mit dieser Kompetenz geben. Ähnliches gilt für Taxifahrer, Lokführer und vielleicht auch für Piloten. Ein heutiger Gabelstaplerfahrer braucht dann künftig eher Programmierkenntnisse, um etwa die Routen des Fahrzeugs zu organisieren und zu überwachen.

Wie kann das eine BU-Versicherung abdecken?

Wir brauchen eine Kompetenzabsicherung für den Fall, dass Sie in eine berufliche Situation geraten, in der Ihre bisherigen Kompetenzen nicht mehr weiterhelfen. Der Versicherte wird dann in die Lage versetzt, sich neue Kompetenzen anzueignen. Und zwar nicht in zwei Tagen durch eine oberflächliche Schulung des Arbeitgebers, sondern über eine grundlegende Weiterbildung von sechs bis zwölf Monaten an Schulen oder Universitäten, je nach Bildungshintergrund. Dieses „Rebooten“ wird vielleicht bis zu fünfmal im Laufe einer Berufskarriere erforderlich. Falls sich BU-Konzepte nicht in diese Richtung weiterentwickeln lassen, könnte man alternativ dafür auch ein neues eigenständiges Produkt schaffen. Der Bedarf dafür wird in den nächsten Jahrzehnten enorm sein.

Wie können Versicherungsmakler im Bereich der Arbeitskraftabsicherung aus der Masse der Berater herausragen?

Im Massengeschäft, in dem die meisten Makler agieren, wird diese Frage datengetrieben sein. Wer in der Lage ist, durch die Analyse von Echtzeitdaten zu erkennen, wann sich beim Versicherten etwas verändert, hat die beste Kundenbindung. Nach dem Motto: „Du hast hier eine kostenlose App, die Daten freischaltet und dir sagt, wie gerade dein aktuelles Risikolevel ist oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dein Job in den nächsten fünf Jahren ausstirbt oder du wesentliche neue Kompetenzen benötigen wirst.“ Für die kostenlose Nutzung gibt der Kunde seine Daten frei, und der Makler kann sie verwenden. So kann der Makler proaktiv auf den Kunden zugehen und agieren, wenn sich etwas ändert.

Und im Premiumbereich?

Hier ist das Identitätsmanagement entscheidend. Wenn ein Makler etwa weiß, dass sein Kunde Marathonläufer ist und er ebenfalls Marathon läuft, dann wird der Kunde mit ihm sehr gern gute Gespräche führen. Die Kundenbeziehung basiert hier nicht auf Berufen oder Versicherungsprodukten, sondern auf einer Identität. Es gibt rund 20 Makro-Identitäten, etwa heimatverbunden, ökologisch, innovativ oder sportlich. Und darunter viele Mikro-Identitäten. Im Premiumbereich muss der Makler Teil dieser Identität sein und diese leben, er muss authentisch sein, um Erfolg zu haben.

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Oliver

Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

kommentare
Philip Wenzel
Vor 5 Jahren

Da erkenne ich viele meiner Ideen wieder! Freut mich, wenn ich nicht mehr der einzige Spinner bin, der neu denken will 🙂

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Philip Wenzel
Vor 5 Jahren

Da erkenne ich viele meiner Ideen wieder! Freut mich, wenn ich nicht mehr der einzige Spinner bin, der neu denken will 🙂

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