Pfefferminzia Logo rgb
Ärzte operieren am offenen Herzen: In manchen Dread-Disease-Modulen ist nur eine Herzkrankheit abgesichert. © Getty Images
  • Von Redaktion
  • 26.11.2015 um 09:46
artikel drucken artikel drucken
lesedauer Lesedauer: ca. 05:10 Min

Vor etwas mehr als acht Jahren kam die erste Funktionelle Invaliditätsversicherung auf den Markt. Seitdem folgte eine ganze Reihe weiterer Produkte. Aber dennoch ist diese eigentlich sinnvolle Absicherung noch nicht seinen Kinderschuhen entwachsen, sagt Nicola-Alexander Sittaro, Experte für Versicherungsmedizin. In seinem Gastbeitrag geht er auf Ursachensuche.

Bei den Rechnungsgrundlagen der FIV mussten und müssen die Mathematiker an verschiedenen Stellen Neuland betreten, da es im Gegensatz zur Dread-Desease-Abdeckung noch keine Schadenerfahrungen zum Beispiel aus dem Ausland gibt. Datenmaterial steht folglich vielfach nicht in wünschenswertem Umfang und Qualität zur Verfügung.

Rechnungsgrundlagen sind noch nicht so solide wie in der Lebensversicherung

Die Güte und Belastbarkeit der Rechnungsgrundlagen sind dementsprechend nicht immer auf dem Niveau, wie man dies beispielsweise aus dem Bereich der Lebensversicherung gewohnt ist. Da Daten zu einigen Leistungsmodulen in der FIV, insbesondere der Organrente, in der Vergangenheit gerade nicht für die Zwecke der (Lebens-)Versicherungswirtschaft und den damit einhergehenden Anforderungen aufgearbeitet wurden, müssen sich die Aktuare mit den typischen Problemen medizinischer Statistiken auseinandersetzen.

Diese Statistiken sind oft nur einmalig für einen Zeitraum oder Stichtag, allenfalls für einige wenige Jahre in vergleichbarer Weise verfügbar. Zeiträume der Beobachtung sind oft eher kurz und selten professionell ausgearbeitet. Darüber hinaus fehlt es oft an systematischen Differenzierungen.

Aktuare verzweifeln an unzureichendem Datenmaterial

Das Tarifierungskonzept der modular aufgebauten FIV verlangt daher an wesentlichen Stellen die Einschätzung medizinisch-epidemiologischer Experten mit langjähriger Erfahrung. Mit ihrer Hilfe können die Aktuare zu realistischen „rechenbaren“ Werten gelangen. Die Anforderungen dabei sind:

–    Güte und Relevanz von Statistiken in ihrer Aussagekraft einzuschätzen,
–    Fachlich die Schwerbehindertenstatistik des Statistischen Bundesamtes detailliert auszuwerten,
–    Über Sonderauswertungen Wahrscheinlichkeiten über Entwicklungen von Neu-Erkrankungen (Inzidenzen) zu ermitteln,
–    Relevante Daten aus einzelnen umfangreichen Erhebungen neuer Quellen herauszufiltern,
–    Brüche aufgrund von Änderungen bei der Datenerhebung über Zeiträume hinweg zu identifizieren.

All dies hat erst begonnen. Folglich verfügen die Versicherer noch nicht über ausreichend geprüftes und bewertetes Datenmaterial. Diese Lücke erklärt die Unsicherheit bei der Produktentwicklung schon zu weiten Teilen, Aktuare allein werden sie nicht schließen können. Die Unvollkommenheit wird gerade erst erforscht.

Leitplanken, nicht mehr

Und doch: Aus den Daten lassen sich unter Zuhilfenahme geeigneter Annahmen und Verwendung entsprechender Experteneinschätzungen Organinzidenzen für mehrere Zeiträume herleiten, die auch heute schon eine bemerkenswerte Stabilität aufweisen. Nach Anwendung geeigneter aktuarieller Glättungsverfahren lassen sich schließlich verwendbare Rechnungsgrundlagen finden. Für eine Prämienkalkulation reicht dies freilich noch nicht.

Natürlich gibt es plausible Grenzwerte für den Schadenbedarf einer FIV. Die Schadenbedarfsdimension muss aufgrund der fehlenden Leistungsfälle wie beispielsweise psychische Erkrankungen weit unter denen einer BU liegen. Andererseits kann der Bedarf aber auch nicht unter dem für eine Pflegeversicherung angesiedelt sein. Diese Produktgruppen sind für die Prämienberechnung aber bestenfalls Leitplanken. Für mehr fehlen schlicht noch etablierte Rechnungsgrundlagen.

Verwirrende Diskussionen

Werbung

Hier hat es in den vergangenen Monaten verwirrende Diskussionen darüber gegeben, wie hoch der Schadenbedarf für eine FIV sein sollte oder könnte. Im Wesentlichen sind hierfür drei Komponenten verantwortlich:

1. Die Frage der Rechnungsgrundlagen für die Grundfähigkeiten- und die Krebsrente sowie insbesondere für den Organschutz,
2. Die Berechnung der Überlappungseffekte der fünf Module,
3. der Einfluss der Risikoprüfung.

Aber die enge Verknüpfung von medizinisch-epidemiologischem Expertenwissen und aktuariellen Methoden bei der Herleitung von Rechnungsgrundlagen und Grundprinzipien einer modular aufgebauten biometrischen Versicherungslösung für das Invaliditätsrisiko trägt erste Früchte. Neuere im Markt umgesetzte Kalkulationsansätze in der Einschätzung des Schadenbedarfs waren dimensionsmäßig stimmig.

Als weiterer Ertrag der Kooperation von Medizin und Versicherungsmathematik bei der FIV lassen sich nunmehr auch Varianten des Grundkonzepts aus empirischen Daten ableiten. Dies wird sich bei zukünftigen Weiterentwicklungen des Produkts, insbesondere im Bereich der Krebsabsicherung und des Organschutzes als hilfreich erweisen.

Der Autor Nicola-Alexander Sittaro ist Chef der VMS Hannover Institut für angewandte Versicherungsmedizin sowie Mitentwickler des Risikoprüfsystems Trias.

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Pfefferminzia Logo rgb
Suche
Close this search box.
Zuletzt hinzugefügt
Zuletzt hinzugefügt
„Honorarberatung ist hochflexibel“
„Lass mal reden“ mit Honorarkonzept

„Honorarberatung ist hochflexibel“

„In fünf Jahren sterben Online-Abschlussstrecken aus“
„Lass mal reden“ mit Ralf Pispers, Personal Business Machine (PBM)

„In fünf Jahren sterben Online-Abschlussstrecken aus“

Zuletzt hinzugefügt
Ausschließlichkeit ist und bleibt eine Scheinselbständigkeit
Kommentar zur Umstrukturierung des Allianz-Vertriebs

Ausschließlichkeit ist und bleibt eine Scheinselbständigkeit

Einfache Lösungen für Ihr Zeitmanagement
Online-Beratung in der Praxis

Einfache Lösungen für Ihr Zeitmanagement

Zuletzt hinzugefügt
„Am Ende geht es um den messbaren Mehrwert für den Kunden“
Interview-Reihe „Auf dem Weg zum Unternehmer“

„Am Ende geht es um den messbaren Mehrwert für den Kunden“

„Schätze das Geld, als wäre es ein guter Freund“
Interview-Reihe „Auf dem Weg zum Unternehmer“

„Schätze das Geld, als wäre es ein guter Freund“

Skip to content