- Von Lorenz Klein
- 08.02.2021 um 14:07
Knapp über 2 Millionen Menschen in Deutschland haben ihre Corona-Erkrankung laut RKI-Statistik inzwischen überwunden – anders gesagt: 2,04 Millionen ehemals an Covid-19-Erkrankten gelten aktuell als „wieder gesund“, wie es zum Beispiel am Montag bei „Spiegel Online“ hieß.
Dabei zeigt sich allerdings, dass viele Corona-Infizierte auch noch lange nach ihrer offiziellen Genesung unter den Spätfolgen des Virus leiden. Fachleuchte sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Long Covid“. „Die Viruserkrankung geht, doch die neurologischen Symptome halten an“, fassen die Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) das besorgniserregende Phänomen in einer Mitteilung von Ende Januar zusammen.
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94 Prozent der BU-Leistungsanträge erfordern kein Gutachten
Demnach werde deutlich, dass es insbesondere neurologische Spätfolgen seien, mit denen die Betroffenen zu kämpfen hätten. Darauf weist zum Beispiel eine niederländisch-belgische Studie hin. Dazu wurden die anhaltenden Symptome von 2.113 Covid-19-Patientinnen und -Patienten – darunter 112 stationär Behandelte – ausgewertet. Und zwar drei Monate nach Krankheitsbeginn.
Wenn die Erschöpfung bleibt
Das Ergebnis: Während der Erkrankung litten 95 Prozent unter einem sogenannten Fatigue-Syndrom (dauerhafte Erschöpfung und Abgeschlagenheit). Drei Monate danach traf dies immer noch auf 87 Prozent zu. „Damit war die Fatigue die häufigste Komplikation und Langzeitfolge, sogar häufiger als Kurzatmigkeit (Dyspnoe)“, berichten die Experten der DNG. Weiter verweisen die Wissenschaftler auf einen Beitrag im Fachmedium „Nature Communications“, der auf einer Untersuchung von fast 2.500 Corona-Patientinnen und Patienten beruht. „Noch Wochen nach der Erkrankung waren auch hier Fatigue, Schmerzen, Kurzatmigkeit und Schnupfen/laufende Nase die häufigsten Langzeitsymptome“, so die Erkenntnis. Laut einer weiteren britischen Studie seien von einer derartigen „Symptompersistenz“ auch Patientinnen und Patienten mit milden Covid-19-Verläufen betroffen.
Experte berichtet aus der Leistungspraxis
Das wirft die Frage auf, ob sich derartige Long-Covid-Verläufe inzwischen auch in den Regulierungsabteilungen der Berufsunfähigkeitsversicherer (BU) bemerkbar machen? Gehen also vermehrt Leistungsanträge von Kunden mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei den Gesellschaften ein, worin die Versicherten erklären, dass ihnen ein Arzt oder ein Gutachter eine coronabedingte Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent diagnostiziert hat?
Philipp Greiner ist Abteilungsleiter der Schadenregulierung bei einem der größten BU-Versicherer im Lande – bei Swiss Life Deutschland mit Sitz in Garching bei München. Entsprechend weit reichend ist sein Überblick über das Phänomen Long Covid. Im Rahmen des digitalen Vermittlerkongresses der Rechtsanwaltskanzlei Jöhnke & Reichow am vergangenen Donnerstag sprach Greiner zum Thema „Ein ,Blick’ in die BU-Leistungsprüfung“ – und gab dabei auch Einblicke in mögliche Langzeitfolgen von Corona für die BU-Leistungspraxis.
Die Erfahrungen, die Swiss Life auf diesem Gebiet mache, seien „ganz erstaunlich“, erklärte Greiner, „weil wir damit gerechnet hätten, dass wir da jetzt doch einige Schäden sehen“.
„Die trauen sich nicht mehr“
Wirklich konkrete Corona-Erkrankungen, wie etwa eine chronische „Fatigue“, so Greiner, sehe man bei Swiss Life aber nur „ganz wenig“. Genaue Zahlen nannte er nicht. Hingegen bekomme der BU-Experte Fälle zu sehen, die Greiner „indirekte Schäden“ nennt. „Die Leute kommen mit dem Lockdown nicht klar“, bringt es der Gastreferent auf den Punkt. „Die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die eben nicht für zwei Kinder Homeschooling und Homeoffice machen kann. Und das führt zu – meistens – psychischen Beeinträchtigungen“, schildert Greiner. Solche Fälle sehe man bei Swiss Life „sehr wohl jetzt schon – und wir rechnen auch damit, dass das mehr wird“.
Hinzu kämen Fälle, die Greiner als „mittelbare BU“ beschreibt. Hinter diesen Fällen stünden Menschen mit Vorerkrankungen, wie etwa einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung. Greiner zufolge kommt es vor, dass manche Betroffene aufgrund der Corona-Situation gar nicht mehr aus dem Haus gingen. „Die trauen sich nicht mehr“, so der Experte. Vor lauter Ansteckungsangst ließen sie sich krankschreiben und blieben zuhause. „Ich kann nicht mehr arbeiten, nicht mehr meinen Beruf ausüben“, beschreibt Greiner die Lage aus Sicht der Betroffenen. Hierbei handle es sich um Fälle, die allerdings nicht unter die BU-Definition fielen. „Die sehen wir auch, aber die lehnen wir ab“, so Greiner.
Schon seit geraumer Zeit lassen sich die Leistungsauslöser für eine BU-Rente – sowohl bei Swiss Life als auch im gesamten BU-Markt – vor allem auf psychische Erkrankungen zurückführen. „Weitaus der größte Anteil macht Psyche aus“, fasst Greiner das Schadenbild bei Swiss Life zusammen, gefolgt von Erkrankungen des Bewegungsapparates sowie Krebs-Erkrankungen.
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