Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke & Reichow
  • Von Redaktion
  • 17.05.2022 um 13:35
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Ist die Umorganisation eines Friseurbetriebes, die bei einem mitarbeitenden Friseurmeister dazu führt, dass sein zuvor ausgeübtes Handwerk vollständig wegfällt, unzumutbar? Auch dann, wenn es sich um einen größeren Betrieb handelt? Darüber musste das Oberlandesgericht Dresden entscheiden. Rechtsanwalt Björn Jöhnke fasst hier die Details zusammen.

Umorganisation des Betriebs ist unzumutbar

Schließlich sei dem Kläger auch eine Umorganisation seines Betriebes nicht zumutbar gewesen. Der mitarbeitende Betriebsinhaber habe dabei zur Möglichkeit der Umorganisation vorzutragen. Zu seiner Vortrags- und Beweislast gehöre auch, dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnet, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden. Die berufliche Tätigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers werde zum einen dadurch gekennzeichnet, dass er ein bestimmtes betriebliches Arbeitsfeld durch eigene Tätigkeit ausfüllt, zum anderen – und vor allem – aber auch dadurch, dass ihm das betriebliche Direktionsrecht, die Weisungsbefugnis gegenüber seinen Mitarbeitern zukommt. Dieses Direktionsrecht, das auch die Möglichkeit einer Umverteilung der Arbeit einschließt, gebe seiner Stellung im Betrieb das Gepräge. Sein „Beruf“ sei daher die Leitung des Betriebes unter seiner Mitarbeit an einer von ihm bestimmten Stelle.

Die Umorganisation müsse aber für den Versicherungsnehmer zumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit verlange eine Gesamtbetrachtung der dem Betriebsinhaber nach einer – betrieblich sinnvollen – Umorganisation trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch verbleibenden Tätigkeitsfelder. An der Zumutbarkeit fehle es nach Ansicht des Senats, wenn die Umorganisation mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist. Nach Durchführung der Umorganisation müsse noch ein adäquater Arbeitsplatz im Sinne einer „vernünftigen Arbeit“ im Unternehmen verbleiben.

Weiter führt der Senat aus, dass der Versicherte sich nicht auf eine Umorganisation verweisen lassen müsse, wenn er damit nur noch einer „Verlegenheitsbeschäftigung“ nachgehen könnte. Ebenso wenig sei es ihm zumutbar, eine Veränderung seines Arbeitsfeldes vorzunehmen, wenn dadurch die Arbeit ihre prägenden Merkmale völlig verliert. Der Kläger könne im vorliegenden Fall ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen die handwerklichen Leistungen eines Friseurmeisters nicht erbringen – und damit 76 Prozent der Leistungen, die er bislang erbracht hat. Eine Umorganisation seines Arbeitsfeldes und Beschränkung seiner Betätigung auf organisatorische Aufgaben und die Rezeption sei ihm nicht zumutbar, so das Gericht.

Beruf des Friseurs ist geprägt vom persönlichen Vertrauensverhältnis

Anders als bei anderen handwerklichen Berufen sei der Beruf des Friseurs geprägt durch ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Friseur. Es handele sich um eine körpernahe Dienstleistung, die ein gewachsenes Vertrauen erfordert. Anders als bei anderen handwerklichen Tätigkeiten sei es dem Kunden daher nicht gleichgültig, von welchem der im Friseursalon tätigen Friseure er bedient wird. In der Regel bleibe der Kunde an einen Friseur gebunden, mit dem er zufrieden ist. Darüber hinaus sei es dem Kläger nicht möglich, seine Mitarbeiter zu schulen, qualifiziert fortzubilden und auf die Einhaltung von Qualitätsstandards, insbesondere bei neuen Modetrends, zu achten, wenn er selbst praktisch nicht mehr tätig ist und allenfalls theoretische Anweisungen erteilen kann.

Die Akzeptanz als Chef sowie eine Vorbildfunktion könne unter diesen Umständen nach Auffassung des Senats nicht ausgefüllt werden. Dies schließe eine Umorganisation, für die der zuvor ausschließlich als Friseur tätige Betriebsinhaber auf ausschließlich organisatorische Tätigkeit zurückgeworfen würde, in der Regel aus. Auch könne der Kläger nicht auf eine Tätigkeit ausschließlich als Rezeptionist verwiesen werden. Dadurch verlöre seine Arbeit als Friseurmeister ihre prägenden Merkmale, selbst wenn dem Kläger das Direktionsrecht verbliebe. Der Kläger hätte dann zwar noch Kunden beraten, organisatorische Aufgaben ausführen, Gespräche führen und Mitarbeiter motivieren können. Übt er aber den Friseurberuf nicht mehr aus, verliere er zunehmend an Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Dresden kann im Ergebnis überzeugen. Das Gericht hat dabei die Zumutbarkeit der Umorganisation des Betriebes des Versicherten gründlich herausgearbeitet und ist neben dessen Vortrag in der mündlichen Verhandlung auch dem Sachverständigengutachten gefolgt und hat zutreffend eine Umorganisationsmöglichkeit verneint. Bemerkenswert sind dabei auch die Ausführungen des Senats zur Bedeutung des Friseurberufes.

Das Urteil zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen einer Tätigkeitsverweisung genauestens geprüft werden. Gerade bei Selbstständigen stellt sich sehr häufig das Problem der „Umorganisation“. Die diesbezügliche „Vortragslast“ liegt beim Versicherten, so auch die Rechtsprechung.

Nachfolgend ist ein Leitartikel zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung zu finden, in welchem stets aktuelle Verfahren, Urteile und Rechtsstreitigkeiten zusammengefasst werden: Fallstricke Berufsunfähigkeitsversicherung.

Über den Autor

Rechtsanwalt Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft.

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