Bert Rürup (rechts) und Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, am Dienstag auf dem MCC-Kongress „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ in Berlin. © MCC
  • Von Lorenz Klein
  • 25.04.2023 um 23:50
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Wohin steuert die gesetzliche Rente? Und wie könnte die erste Säule grundlegend erneuert werden, um den demografischen Wandel bewältigen zu können? Professor Bert Rürup äußerte beim diesjährigen MCC-Kongress „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ in Berlin ein paar Ideen – und konnte dabei seine Besorgnis nicht verhehlen.

„Im Koalitionsvertrag steht das Wort Alterung nicht drin“, sagte Professor Bert Rürup und zeigte sich irritiert über diese Leerstelle im Vertragswerk der Ampel. Dabei werde das Land schon in wenigen Jahren einen erheblichen Alterungsschub erleben, bedingt durch die massenhaften Renteneintritte der Babyboomer.

„Das System schwimmt“, konstatierte der einstige „Wirtschaftsweise“ am Dienstag in Berlin. Rürup eröffnete den diesjährigen MCC-Kongress „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ mit einem Referat, das mit dem zukunftsbejahenden Titel der Veranstaltung eher wenig gemein hatte.

Es sei zum Beispiel höchst zweifelhaft, fuhr der Präsident des Handelsblatt Research Institute fort, dass die Probleme des gesetzlichen Rentensystems durch Zuwanderung zu lösen sei. Weil dann 4 Millionen Arbeitskräfte kommen müssten, mit Angehörigen sei man dann eher bei 7 Millionen. Allein schon mit Blick auf den vorherrschenden Wohnungsmangel sei das nicht realistisch, so Rürup.

„Goldene Jahre sind vorbei“

Der Rentenexperte schaute dann auch recht sorgenvoll auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Es sei nicht selbstverständlich, dass die hiesige Volkswirtschaft im nächsten Jahrzehnt überhaupt noch wachse. Der Multilateralismus, dem Deutschland seine „goldenen Jahre“ zu verdanken habe, sei tot, befand Rürup. Hierzu verwies er auf den sich verschärfenden Systemwettstreit zwischen den USA und China, der alle Globalisierungsträume endgültig zum Platzen gebracht hat.

Das ist insofern höchst problematisch, da die erste Säule – ergo die gesetzliche Rente – nun einmal auf einer prosperierenden Volkswirtschaft fußt. Professor Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum bestätigte wenig später die Einschätzung seines Vorredners: Deutschland werde in den nächsten Jahren eine der stärksten Alterungsschübe weltweit erfahren, sagte Werding. Und dieser demografische Effekt wirke sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren so stark aus, dass es nicht damit getan sei, an einer Stellschraube zu drehen (wie etwa nur ein bisschen am Rentenbeitrag, der aktuell noch bei 18,6 Prozent liegt) – man müsse an ganz vielen Schrauben drehen.

Sollten hohe Renten nicht mehr so stark steigen dürfen?

Dabei scheute Werding nicht vor unpopulären Ideen zurück: Um zum Beispiel den Anstieg der Rentenausgaben in der Zukunft zu dämpfen, sei zu überlegen, höhere Renten in Zukunft nicht so stark nach oben anzupassen – auch wenn dies das Äquivalenzprinzip verletze. Man könnte auch sagen: Rentenkürzungen für Topverdiener. „Das ist nicht populär, aber darüber müssen wir reden“, rief der Wissenschaftler den mehr als 100 Gästen im Saal zu.      

Apropos unpopulär: Die kürzlich von der CDU angestoßene Debatte, die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung zu koppeln (wir berichteten), rangiert ja auf der Beliebtheitsskala der Deutschen in etwa auf dem gleichen Level wie Klimakleber auf der A2 zur Rushhour. Trotzdem ist Rürup überzeugt davon, dass dieses Thema „die Diskussion der nächsten Jahre prägen wird“. Eine derartige „automatische Kopplung“ gebe es in einigen Länder bereits. Es liege daher nahe, das auch zu machen, sagte Rürup, er glaube aber nicht, dass es in Deutschland dazu komme. Denn das Alter des so genannten Medianwählers hierzulande, der die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen teilt, liege derzeit bei knapp 53 Jahren. Und der Medianwähler lehne eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ab, so der Rentenexperte.

„Die Idee ist gut, kommt aber 20 Jahre zu spät“

Auch zur Schaffung eines Generationenkapitals, das die Ampel aus der ursprünglichen Aktienrente der FDP fabriziert hat, äußerte sich Rürup. Grob gesagt sieht das Konzept vor, dass eine Stiftung einen Kapitalstock am Kapitalmarkt anlegt, um mit den Ausschüttungen die gesetzliche Rente zu stützen. Finanziert würde der Kapitalstock aus im Bundeshaushalt bereitgestellten Krediten des Bundes in Höhe von jährlich 10 Milliarden Euro – wobei sich die Ampel bislang nur auf eine einmalige Bereitstellung der 10 Milliarden geeinigt hat. „Die Idee ist gut, kommt aber 20 Jahre zu spät“, kommentierte Rürup. Zudem sei der „Co-Finanzierungeffekt“ des Generationenkapitals relativ überschaubar. Denn selbst wenn besagte 10 Milliarden jedes Jahr flössen, könnte man die Rente dadurch nur vier Tage lang refinanzieren.

Als eine grundsätzlich gute Idee bezeichnete Rürup auch das Sozialpartnermodell. Dieses sei „sehr vielversprechend“. Doch hier bestehe wiederum das Problem, dass das Sozialpartnermodell bislang kaum akzeptiert sei – wohl auch deshalb, weil das – auch als „Nahles-Rente“ bekannte – Konstrukt den Beschäftigten keine Nominalgarantien bietet. Dabei sei es richtig, den Anteil der privaten Kapitaldeckung in den Versorgungsleistungen der Bundesbürger zu erhöhen, betonte Rürup, denn mischfinanzierte Rentensysteme seien anderen Systemen überlegen. Das darf man einfach mal als Hoffnungsschimmer so stehen lassen.

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Lorenz

Lorenz Klein

Lorenz Klein gehörte dem Pfefferminzia-Team seit 2016 an, seit 2019 war er stellvertretender Chefredakteur bei Pfefferminzia. Im Oktober 2023 hat Klein das Unternehmen verlassen, um sich neuen Aufgaben in der Versicherungsbranche zu widmen.

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