- Von Manila Klafack
- 29.06.2022 um 08:50
Pfefferminzia: Achtsamkeit ist in den vergangenen Jahren beinahe zum Modebegriff geworden. Was genau verbirgt sich dahinter?
Claudia Lehle-Duffek: Ja, der Begriff Achtsamkeit ist in Mode gekommen. Ich selbst habe das Wort lange Zeit bewusst nicht verwendet. Für mich klang es wie aus einer dieser hippen Modezeitschriften für die Frau ab 30. Und dann kam Corona. Alles lief nur noch digital ab. Ein richtiges Sozialleben gab es nicht mehr. Schul- oder Büroalltag wurden durch Home-Schooling und Homeoffice ersetzt. Und selbst die für den Ausgleich so wichtige Bewegung wurde eingeschränkt – es gab keinen Sport im Verein und kein Auspowern im Fitnessstudio. Das hat für mich die Bedeutung des Wortes Achtsamkeit in eine andere Richtung geprägt. Denn wir wollen alle gesund bleiben, und zwar nicht nur physisch, also uns nicht mit dem Virus anstecken, sondern auch mental. Bei vielen Menschen war damit ein neues Gesundheitsbewusstsein geboren, unter dem Namen Achtsamkeit, kurzum: die Vereinbarkeit vom privaten und beruflichen Leben.
Achtsamkeit – Allheilmittel oder übertriebener Hype?
Immer mehr Menschen leiden unter Burnout
Warum fällt es vielen so schwer, ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit zu finden?
Jens Willwand: Insbesondere, wenn man seine Arbeit nicht gern macht, empfindet man sie als Belastung. Allein das kann bereits dazu führen, dass man beruflich überfordert ist. Menschen dagegen, die Leidenschaft für ihren Beruf empfinden, sind weniger gefährdet, auszubrennen. Wenn ich etwas leidenschaftlich gern tue, wenn es mir Spaß macht, bekomme ich etwas zurück. Es sind positive Gefühle, die durch die Tätigkeiten im Job entstehen. Darum würde ich jeder Vermittlerin und jedem Vermittler empfehlen, sich darüber Gedanken zu machen, ob er wirklich den richtigen Beruf gewählt hat. Denn vor allem im Vertrieb kann jemand nach meiner Erfahrung nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn er authentisch ist und gerne Menschen berät.
Lehle-Duffek: Wobei, oft laufen gerade die Menschen Gefahr, zu viel zu tun, die besonders engagiert sind. Da sie für ihr Thema brennen, können sie nicht nein sagen und übernehmen mehr Aufgaben, als sie auf Dauer bewältigen können. Menschen in Gesundheitsberufen sind hier durch die soziale Verantwortung oft ebenso betroffen, wie Menschen in Beratungsberufen. Sie sind zu jeder Zeit ansprechbar – auch, wenn sie sich eigentlich regenerieren sollten. Ruhephasen, insbesondere nach einer stressigen Phase, sind für die mentale Gesundheit immens wichtig. Allerdings bin auch ich überzeugt, dass der Beruf Versicherungsvermittler auch Berufung sein sollte, um dauerhaft erfolgreich zu sein.
Wie kann ich denn im hektischen Berateralltag mehr auf mich achten?
Lehle-Duffek: Eine bewährte Möglichkeit ist das individuelle, multimodale Stressmanagement, das in Gesundheitsseminaren erlernt werden kann. Es basiert auf Achtsamkeitstipps, die ich abrufe, wenn ich merke, dass es mir zu viel wird. Dabei geht es um drei Dinge. Zunächst der instrumentelle Teil: Wie sieht mein Arbeitsplatz aus? Kann die Technik verbessert werden? Nutze ich die richtige Software, wie Kundenverwaltungssysteme, oder kann ich mir Unterstützung durch eine Vertriebsassistenz holen? Zweitens der mentale Teil: Hier erkenne ich meine Stressverstärker und wandle sie bewusst in „Erlaubersätze” um, zum Beispiel statt „ich muss perfekt sein“ – „ich darf auch Fehler machen“. Der dritte Teil beschäftigt sich mit Regeneration, also mit Entspannungsmethoden. Als Einstieg eignet sich die progressive Muskelrelaxation. Das bewusste Anspannen und Loslassen aller Muskelgruppen entspannt den Geist, und beim regelmäßigen Üben immer schneller.
Willwand: Eine Alternative oder Ergänzung dazu kann das bewusste Atmen sein. Hierbei konzentriert man sich für ein paar Atemzüge nur darauf. Dabei sollte die Ausatemphase ein bisschen länger sein als das Einatmen. Also zum Beispiel: sechs Sekunden einatmen, vier Sekunden anhalten, acht Sekunden ausatmen und nochmal vier Sekunden anhalten. Diese Übung ein paar Mal wiederholen. Will ich das noch verstärken, gehe ich an meinen persönlichen Wohlfühlort. Fünf Minuten reichen hier oft aus. Das muss auch nicht immer derselbe Ort sein. Auch Spitzensportler arbeiten mit der Übung, gedanklich woanders zu sein, bevor sie einen Wettkampf oder ein Fußballspiel bestreiten. Mit etwas Übung gelingt es jedem irgendwann, von jetzt auf gleich für ein paar erholsame Minuten abzuschalten.
Lehle-Duffek: An diesem Ort sollte ich dann mit allen Sinnen sein, etwa an der See den Wind in den Haaren spüren, das Kreischen der Möwen hören, das Räuchern von Fisch riechen, das Salz der Luft auf der Zunge schmecken. Diese Vorstellung ist zum Beispiel eine Fantasiereise, die Möwe am Meer und Teil meiner Achtsamkeitsübung in meinen Webinaren.
>>Seite 2: Wie Vorgesetzte ihre Mitarbeiter unterstützen können
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