Jochen Ruß ist Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm. © Ifa
  • Von Redaktion
  • 18.08.2015 um 15:43
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Ein aktuelles Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank hat in der Branche für Schlagzeilen gesorgt. Darin sehen die Bundesbanker bei steigenden Zinsen die Gefahr, dass die Deutschen zuhauf ihre Lebensversicherungen kündigen, um sich rentableren Anlageformen zuzuwenden. Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) in Ulm, hat nun zu dem Papier kritisch Stellung genommen. Er sieht vielmehr einen Konzeptionsfehler im VVG als Wurzel allen Übels.

Vorab möchten wir betonen, dass es wichtig und überfällig ist, das Risiko, welches aus Storno bei steigenden Zinsen resultiert, zu thematisieren. Insofern begrüßen wir das Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank ausdrücklich. Allerdings beobachten wir, dass die Diskussion derzeit nicht auf die Ursache des Problems gelenkt wird. Stattdessen werden konkrete Zahlen diskutiert, die nach unserer Einschätzung nicht belastbar sind.

Das Diskussionspapier geht von vollständig finanzrationalem Verhalten aller Kunden aus. Dies ist unrealistisch. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass im Falle eines starken Zinsanstiegs ein signifikanter Teil der Kunden zum Beispiel durch Presseartikel oder Vertriebsorganisationen zu finanzrationalem Verhalten angeleitet wird.

Konzeptionsfehler im VVG

Für problematisch halten wir, dass die Studie die Ursache des betrachteten Risikos – nämlich die aus fachlicher Sicht unangemessene Regelung im Paragrafen 169 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) – nicht erwähnt.

Die Anforderungen in  Paragraf 169 VVG an Rückkaufswerte zwingen die deutschen Versicherer immer dann, wenn sie einem Kunden als Primärgarantie eine garantierte Ablaufleistung zusagen, als Sekundärgarantie auch garantierte Rückkaufswerte zuzusagen. Diese sind nicht nur dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach als Eurobetrag festzulegen.

Bei steigenden Zinsen fallen die Marktwerte der festverzinslichen Wertpapiere im Bestand der Versicherer, die garantierten Rückkaufswerte bleiben jedoch unverändert. Als Konsequenz ist es in der Regel nicht möglich, beide Garantien gleichzeitig komplett abzusichern. Je besser die Primärgarantie durch die Kapitalanlagestrategie des Versicherers (gegen sinkende Zinsen) abgesichert ist, desto schlechter ist die Sekundärgarantie (gegen steigende Zinsen) abgesichert und umgekehrt.

Rückkaufswert nicht in Euro festlegen, sondern vom Zinsniveau abhängig machen

Natürlich ist es aus Verbrauchersicht wünschenswert, dass bei Storno ein fairer Rückkaufswert bezahlt wird. Diesen jedoch in Euro festzulegen und nicht – wie in vielen anderen Ländern üblich – vom Zinsniveau bei Storno abhängig zu machen, ist unseres Erachtens ein wesentlicher Konzeptionsfehler des VVG, auf den wir seit 2008 regelmäßig hingewiesen haben. Eine überfällige Diskussion dieses Themas wird durch das Verschweigen der Ursache gerade nicht angeregt.

Schließlich sind die absoluten Zahlen aus zwei Gründen mit großer Vorsicht zu genießen. Zum einen sind keine Kosten, Stornoabschläge, Schlussüberschüsse und so weiter berücksichtigt. Zum anderen ist das verwendete mathematische Modell, in dem hergeleitet wird, wann Storno für die Kunden optimal ist, an einigen entscheidenden Stellen realitätsfern.

Versicherungsvertrag hat keine eigene Kapitalanlage

Beispielsweise wird unterstellt, dass jeder Versicherungsvertrag (beziehungsweise jede Generation von Versicherungsverträgen) mit einer eigenen Kapitalanlage bedeckt wird, welche die endfällige Garantie repliziert, wogegen in der Praxis alle Versicherungsverträge mit demselben kollektiven Kapitalanlagepool bedeckt werden.

Schwankungsreduzierende kollektive Ausgleichsmechanismen, Effekte, die aus der Ableitung der Überschussbeteiligung aus Buchwertrenditen resultieren, sowie die üblicherweise zu beobachtende zeitliche Verzögerung, mit der die Überschussbeteiligung Zinsbewegungen folgt, sind im verwendeten Modell nicht abgebildet.

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