Norman Wirth ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte in Berlin. © Wirth Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 08.08.2022 um 11:26
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Es kommt vor, dass ein Versicherer die Rentenzahlungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) infolge einer Nachprüfung wieder einstellt. Die Begründung im vorliegenden Fall: Der BU-Bezieher arbeite inzwischen in einem anderen Beruf, der seiner früheren Lebensstellung entspreche. Fachanwalt Norman Wirth geht in seinem Gastbeitrag der Frage nach, ob das rechtens ist.

Was war geschehen?

Ein Versicherungsnehmer ist nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Beruf als Dachdeckerhelfer auszuüben. Aus der vorhandenen privaten Berufsunfähigkeitsversicherung wird die vereinbarte Rente geleistet – die Zeit geht ins Land. Der Versicherungsnehmer nimmt in Teilzeit eine kaufmännische Tätigkeit auf. Die Preise steigen und die Lebenshaltungskosten mit ihnen.

Nach etwa vier Jahren überprüft der Versicherer seine Leistungspflicht und meint, das durchschnittliche Jahreseinkommen in der aktuellen kaufmännischen Tätigkeit sei dem der früheren handwerklichen Tätigkeit vergleichbar und stellt die Rentenzahlung ein – die kaufmännische Tätigkeit entspreche seiner früheren Lebensstellung. Der Streit beginnt.

Die Urteile

Darf die Versicherung statisch das vor vielen Jahren verdiente Einkommen eines Versicherungsnehmers, ohne die Einkommensentwicklung zu berücksichtigen, noch Jahre später zur Vergleichsbetrachtung heranziehen? – Das Landgericht Gera (Aktenzeichen: 2 O 1540/12) sagt ja, das Berufungsgericht – das Oberlandesgericht (OLG) Jena (Aktenzeichen: 4 U 699/13) sagt nein – und der Bundesgerichtshof (BGH) (Aktenzeichen: IV ZR 19/18) meint: es kommt drauf an! Der BGH hebt das Urteil des OLG Jena zwar auf, verweist den Rechtsstreit aber zur weiteren Prüfung dahin zurück.

Der Teufel liegt im Detail: Grundsätzlich kam es hier zunächst darauf an, ob die Qualifikation in der kaufmännischen Tätigkeit der der Dachdeckerhelfertätigkeit entsprach. Eine Geringerwertigkeit der neuen Tätigkeit war hier nicht festzustellen.

Für die Feststellung hinnehmbarer Einkommensunterschiede kam es dann aber entscheidend auf das Einkommen des Versicherungsnehmers an, das zuletzt als Dachdeckerhelfer seine Lebensstellung geprägt hatte und nicht auf das, welches er in der Gegenwart fiktiv als Dachdeckerhelfer hätte erzielen können. Ein fiktives Einkommen kann die Lebensstellung nicht prägen.

Alles schlecht? Nein!

Wenn ein besonders langer Zeitraum zwischen dem Eintritt der Berufsunfähigkeit und der Nachprüfung liegt und dadurch eine Vergleichbarkeit des Einkommens mit der Lebensstellung nicht mehr möglich ist, lässt der BGH auch eine andere Entscheidung zu. Dazu kommt es dann auf den Parteivortrag an: In dem vom BGH zu entscheidendem Fall war der Klägervortrag wohl nicht ausreichend. So hatte das OLG das Einkommen des Klägers einfach fortgeschrieben, als hätte er regelmäßig Tariflohnerhöhungen erhalten. Dabei hatte das Gericht noch nicht einmal festgestellt, inwieweit der letzte erzielte Lohn als Dachdeckerhelfer auch tatsächlich seine Lebensstellung geprägt hatte. Die Erwerbbiografie des Klägers hatte bei Eintritt der Berufsunfähigkeit nämlich durchaus Brüche. Sie war zuweilen auch durch Zeiten der Erwerbssuche unterbrochen. Das müsse auch bei der Beurteilung der Lebensstellung auch berücksichtigt werden.

Fazit

Wenn eine Nachprüfung der Berufsunfähigkeit durch den Versicherer erfolgt, ist es immer eine gute Idee, fachkundige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. So kann auch schon im Nachprüfungsverfahren auf die Darlegung und den Nachweis der zu vergleichenden Lebensstellungen und Einkommensverhältnisse eingewirkt werden – auch wenn sich der Versicherer am Ende nicht erweichen lässt, kommt es dann auf einen plausiblen und nachprüfbaren Vortrag vor Gericht an.

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