Désirée-Jessica Pély ist Expertin für Behavioral Finance. © Désirée-Jessica Pély
  • Von Sabine Groth
  • 20.07.2020 um 09:59
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lesedauer Lesedauer: ca. 03:35 Min

Verlustangst, fehlendes Finanzwissen, mangelndes Vertrauen – die Scheu der Deutschen vor Aktien habe viele Gründe, meint Désirée-Jessica Pély, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kapitalmärkte und Finanzwirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Die Expertin für Behavioral Finance erklärt, wie Berater der Risikoscheu ihrer Kunden begegnen können und ihnen zu den entscheidenden Aha-Momenten verhelfen, damit die Altersvorsorge später auch reicht.

Pfefferminzia: Wie werden Anlageentscheidungen für die Altersvorsorge getroffen? Wie viel Emotionalität ist im Spiel?

Désirée-Jessica Pély: Die Entscheidung, sich um seine Altersvorsorge zu kümmern, ist meist eine sehr bewusste. Ich benötige einen langfristigen Plan, verzichte heute auf Geld, damit ich später mehr habe. Das ist eine relativ rationale Entscheidung. Emotionalität spielt hier eine untergeordnete Rolle. Auch der Einfluss aus dem sozialen Umfeld ist weniger entscheidend als beispielsweise bei kurzfristigen Spekulationsgeschäften. Ein gutes Beispiel hierfür sind Kryptowährungen, in die 2017 viele eingestiegen sind – getrieben von den Anlageerfolgen von Bekannten und der Hoffnung auf eigene schnelle Gewinne. Solche Herdeneffekte sind bei der Altersvorsorge nicht zu beobachten.

Altersvorsorge ist also unemotional?

Nein. Wenn man erst einmal beispielsweise in einem Sparplan oder einer Fondspolice investiert ist, wird es emotionaler. Affekthandlungen nehmen zu. Diese gehen meist mit Veränderungen einher, sei es am Markt, im privaten Umfeld oder im Berufsleben. Man lässt sich kurzfristig beeinflussen, etwa von Verlusten. Aber gerade hier gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und erst einmal abzuwarten. In Studien wird sogar empfohlen, dass Anleger mit Aktienfonds-Sparplänen diese nicht tagtäglich beobachten, sondern sie maximal viermal im Jahr überprüfen sollten. Es hat sich gezeigt, dass die Anleger am besten fahren, die nur einmal im Jahr die Chance haben, ihren Sparplan anzupassen.

Moderne Fondspolicen versuchen dem Kunden so viel Flexibilität wie möglich einzuräumen. Zu viel Flexibilität ist aber gar nicht so gut?

Doch, Flexibilität ist wichtig. Der Anleger will die Kontrolle letzten Endes haben. Man sollte ihm aber bewusstmachen, dass es wenig sinnvoll ist, jeden Tag ins Portfolio zu schauen und daraus zu schnelle Schlüsse zu ziehen. Stattdessen können Situations- und Entscheidungsoptionen mit Kunden quartalsweise oder jährlich besprochen werden. Wichtig ist, von Anfang an zu kommunizieren, dass es an den Börsen zwischenzeitlich hoch und runter geht, die Aktienkurse volatil sind.

Warum empfinden Anleger das Runter viel stärker als die Chance auf Gewinne?

Für dieses irrationale Verhalten gibt es mehrere Gründe. Erstens ist der Kunde häufig nicht nur risikoavers, sondern verlustavers. Etwas zu verlieren, was man bereits besessen hat, hat mehr Gewicht, als etwas zu gewinnen, was man noch nicht hatte. Ein zweiter Grund ist fehlendes Finanzwissen. Studien zeigen: Je höher das Finanzwissen, desto höher die Bereitschaft, Risiko zu tragen und in Aktien zu investieren. Traurigerweise korreliert das Finanzwissen sehr stark mit steigendem Vermögen. Den Personen, die für eine auskömmliche Altersvorsorge dringend investieren müssten, fehlt es am meisten an Finanzwissen. Und es fehlt damit auch grundsätzlich das Verständnis für die Aktienmärkte. Verlustwahrscheinlichkeiten werden meist überschätzt und Gewinnwahrscheinlichkeiten unterschätzt. Ein weiterer Punkt ist mangelndes Vertrauen. Dies wurde spätestens in der Finanzkrise stark gebrochen.

Ist German Angst in der Kapitalanlage wirklich so German?

In Studien rangiert Deutschland bei der Risikofreudigkeit eher auf den hinteren Plätzen. Das liegt an kulturellen Aspekten, aber auch an den Rahmenbedingungen, zum Beispiel an unserem sozialen System. Unser Rentensystem hat bislang gut funktioniert – man musste sich keine Sorgen über das Geld im höheren Alter machen. Heute muss man zusätzlich selbst Geld anlegen. In den USA hingegen gibt es so etwas nicht. Schon die Kinder in der Schule lernen, dass sie in ihrem Arbeitsleben Geld für später zurücklegen müssen und dies möglichst effizient investieren sollten. Sie werden von klein auf mit Aktienmärkten vertraut gemacht. Zum Beispiel kann man über Apps schon mit wenig Geld investieren und den Aktienmarkt spielerisch kennenlernen.

Hat der Niedrigzins das Risikoverhalten der Deutschen verändert?

Ich glaube, bei vielen klingeln die Alarmglocken. Sie merken, dass das Festhalten am Geld auf dem Bankkonto keine Zinsersparnisse mehr bringt. Den Leuten ist schon klar, dass sie etwas ändern müssen. Aber sie wissen nicht genau, was sie tun sollen. Und Verhaltensveränderungen kommen nicht von heute auf morgen. Die Scheu vor Risiko ist tief verankert und lässt sich nicht einfach ändern, sie ist zum Teil auch genetisch veranlagt.

Was kann der Berater tun, um die Risikoscheu zu mildern?

Er kann zeigen, dass man trotz der Scheu vor dem Risiko investieren kann und sollte. Dem Durchschnittsbürger ist nicht bewusst, dass das Anlagerisiko oft gar nicht so groß ist. Viele denken beim Aktienmarkt gleich an Spekulationsgeschäfte. Aber bei der Altersvorsorge geht es nicht darum, den Aktienmarkt zu schlagen, sondern den Markt mitzunehmen. Wichtig hierbei ist, dass das Portfolio diversifiziert ist, um die spezifischen Unternehmensrisiken zu minimieren. Hier kommt das Finanzwissen ins Spiel. Der Berater hat die Aufgabe, Wissen zu vermitteln und so dem Kunden Flexibilität und gleichzeitig Kontrolle zu geben. Nur dann wird er ein gutes Gefühl beim Investieren haben. Anlageentscheidungen voll an den Berater zu delegieren, funktioniert meiner Meinung nach erst, wenn der Kunde Verständnis dafür entwickelt. Ganz nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Wie kann der Berater konkret vorgehen?

Er kann mit seinem Kunden gemeinsam seine Risikoklasse erarbeiten und zeigen, welche Anlagen hierzu passen und erklären, was schlimmsten- und bestenfalls passieren kann. Er sollte ihm aber auch klar machen, dass, wenn er keine Risiken beim Investieren eingeht, bei höherer Inflation sein Kapital langfristig an Wert verliert. Eine einfache Darstellung, wie man vom Zinseszins profitiert und wie viel Kaufkraft das Kapital mit der Inflation verliert, löst bei vielen schon einen Aha-Moment aus. Wer sich dann erst einmal entschieden hat, für seine Altersvorsorge zu investieren, bleibt meistens auch dabei. Schwierig ist die Hürde am Anfang, zumal sich viele junge Leute nicht vorstellen können, „alt“ zu werden, und dazu neigen, solche wichtigen Themen aufzuschieben. Dabei würden die Jüngeren unter uns von dem frühzeitigen Einstieg in Sparpläne am meisten profitieren.

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Sabine

Sabine Groth

Sabine Groth schreibt seit über 20 Jahren schwerpunktmäßig über Geldanlage sowie weitere Finanz- und Wirtschaftsthemen, seit 2009 als freie Journalistin. Zu ihren Auftraggebern zählen vor allem Fachmagazine und -portale.

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