- Von Redaktion
- 05.11.2024 um 16:04
Noch krasser kann man sich kaum irren. Laut einer Umfrage der Siemens-Betriebskrankenkasse glauben 40 Prozent der Deutschen, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziell gut gepolstert sei. Nur 9 Prozent sehen es so, wie es wirklich ist: Die Lage ist schlecht. Schließlich haben die 95 Krankenkassen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres über 2 Milliarden Euro Verlust geschrieben. Kein Wunder, dass sich das Minus in steigenden Zusatzbeiträgen niederschlägt.
Viele Deutsche denken, dass die GKV finanziell gut dasteht
Das sind die besten privaten Krankenversicherer
Dabei ist das Ende der Kosten-Fahnenstange höchstwahrscheinlich nicht erreicht. Aus Berlin droht neues Ungemach. Denn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will seine Krankenhausreform umsetzen. Die enthält zwei Kernpunkte: Einerseits will Lauterbach Krankenhäuser bundesweit in Leistungsgruppen mit unterschiedlichem Spezialisierungsgrad einteilen. Andererseits will er weg davon, dass Krankenhäuser gemäß der Zahl ihrer Fälle bezahlt werden. Stattdessen sollen sie schon dafür Geld bekommen, dass sie Leistungen anbieten. Diese sogenannte Vorhaltepauschale soll allein 60 Prozent der Krankenhauskosten decken.
Grundsätzlich können sich die Krankenkassen mit diesen Plänen anfreunden. So erklärt Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands: „Wir begrüßen grundsätzlich, dass mit der geplanten Einführung von Leistungsgruppen die Krankenhauslandschaft nach bundeseinheitlichen Kriterien strukturiert und vereinheitlicht werden soll. Hierdurch wird bloße Gelegenheitsversorgung ohne die notwendige Erfahrung und Routine vermieden.“ Schimpfen klingt erst mal anders.
Seltene Einigkeit von PKV und GKV
Regelrechte Bauchschmerzen bereitet den Kassen hingegen die Frage, wie Lauterbach das Unterfangen finanzieren will. Der Entwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sieht einen Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro vor. Den sollen wiederum je zur Hälfte Bund und Länder bestücken, doch den Bundesanteil soll die GKV übernehmen. 25 Milliarden Euro.
Es ist ein Plan, der etwas sehr Seltenes bewirkt: Er erzeugt Einigkeit bei privater Krankenversicherung (PKV) und GKV, denn beide Lager lehnen ihn gleichermaßen ab. Die Chefin des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, bezeichnet ihn rundweg als Trauerspiel: „Hier geht das Schwarzer-Peter-Spiel munter weiter – mit der GKV als Verliererin.“ Sie sieht die gesetzlichen Krankenkassen überhaupt nicht dafür zuständig, Investitionen in Krankenhäuser zu bezahlen, und warnt vor weiter deutlich steigenden Beiträgen ab 2026.
Doch das ficht den Gesundheitsminister offenbar gar nicht an. Denn in einem Interview mit dem „Stern“ ließ Lauterbach durchblicken, dass er sich nicht wirklich gegen steigende Beiträge stemmen will. „Ich will das System jetzt nicht kaputtsparen. Wir brauchen diese Investitionen“, sagte er dem Magazin. Und an anderer Stelle meinte er, dass man jetzt Geld in die Hand nehmen müsse, auch das der Beitragszahler. „Nur so gelingen die Strukturreformen, die langfristig die Kostenentwicklung dämpfen und das System besser machen“, so der Minister. Jetzt also Geld ausgeben, damit es später nicht noch mehr wird. Außerdem würden die Beitragszahler davon profitieren.
Auch das entbehrt nicht einer gewissen Logik, nämlich jener der Investitionslehre und der Betriebswirtschaft. Doch sie bringt Unsicherheiten mit sich. Und sie kommt bei den Krankenkassen überhaupt nicht gut an. Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbands der Ersatzkassen, sagt: „Minister Lauterbach kündigt schicksalsergeben erneut Beitragssatzsteigerungen an und bringt gleichzeitig ein teures Gesetz nach dem anderen auf die Agenda, ohne dass die Versorgung der Versicherten spürbar besser wird.“
Aber AOK-Verbandschefin Reimann sieht offenbar rechtliche Möglichkeiten, um gegen Lauterbachs Plan vorzugehen. So meint sie: „Erfreulich klar und deutlich hat der Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht an den Haushaltsausschuss die Zweckentfremdung von Beitragsmitteln zur Finanzierung von Krankenhausstrukturen kritisiert und auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen.“
Damoklesschwert der Verfassungsbeschwerde
Beim PKV-Verband sieht man sogar einen Konflikt mit der Verfassung und lehnt Zuschüsse in den Transformationsfonds ebenfalls ab. „Die Finanzierung des Krankenhaus-Transformationsfonds aus Beiträgen der Privaten Krankenversicherung (PKV) würde gegen das Verfassungsrecht verstoßen“, lässt der Lobbyverband der privaten Krankenversicherer verlauten und bezieht sich dabei auf ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Gregor Thüsing von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Demnach seien Ausbau und Reform der Infrastruktur eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren Finanzierung die Private Krankenversicherung nicht verpflichtet werden dürfte“.
Thüsing selbst kündigt an: „Ein entsprechendes Gesetz würde also von Anfang an unter dem Damoklesschwert einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde seitens der PKV stehen.“ Doch er springt auch der GKV bei und bezeichnet deren Beteiligung am Krankenhaus-Umbau als „Zweckentfremdung der Beitragsmittel“. Auch die sei verfassungsrechtlich unzulässig.
Übrigens leben auch privat Versicherte nicht im Paradies der stabilen Beiträge. So meldet der PKV-Verband, dass für rund zwei Drittel von ihnen die Beiträge im neuen Jahr steigen. Der durchschnittliche Aufschlag beträgt etwa 18 Prozent. Als größter Kostentreiber erweisen sich dabei übrigens: ausgerechnet die Krankenhäuser.
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