- Von Andreas Harms
- 23.02.2023 um 09:09
Im Jahr 2021 verpasste der Bundesgerichtshof (BGH) der Bankenbranche einen Nasenstüber. Seitdem darf sie nicht mehr Preise erhöhen oder Geschäftsbedingungen ändern, und das einfach nur erwähnen. Nein, sie braucht das ausdrückliche Okay ihrer Kunden – und rennt ihnen allein dafür mitunter eine ganze Weile hinterher.
Wie viel besser haben es im Vergleich dazu die Krankenkassen im neuen Jahr. Die erhöhten nämlich den Zusatzbeitragssatz um durchschnittlich 0,3 Prozentpunkte auf 1,6 Prozent. Damit reagieren sie auf ein chronisches Problem: Geldmangel. Für dieses Jahr erwartet die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ein Defizit von satten 17 Milliarden Euro. Um das Loch zu stopfen, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unter anderem 2 Milliarden Euro aus dem Steuertopf extra zuschießen, im Gesundheitssystem 3 Milliarden Euro einsparen und die Pharmaindustrie mit einer Milliarde Euro zur Kasse bitten. Außerdem sollen die Kassen wie erwähnt die Zusatzbeiträge erhöhen und weiter ihre Reserven anzapfen.
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Somit erhöhen zwar fast alle von ihnen den Zusatzbeitrag, brauchen ihre Versicherten aber deshalb nicht anzuschreiben. Berlin hat im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes extra in den Paragrafen 175 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch den Absatz 4a eingefügt. Demnach reicht es, wenn Kassen „auf andere geeignete Weise“ auf den höheren Zusatzbeitrag und alles, was damit verbunden ist, hinweisen. Auf einen Brief können sie bis Jahresmitte verzichten. Was wohl der BGH dazu sagt, wenn man ihn mal fragt?
Was diese andere Weise sein soll, erklärt der Gesetzgeber übrigens nicht. Der GKV-Spitzenverband hält Internet-Seiten und Mitgliederzeitschriften der Krankenkasse für geeignet. Eine ziemlich steile These, wenn man bedenkt, wie oft oder vielmehr wie selten Normalos sich diese beiden Medien betrachten.
Sonderkündigungsrecht in Gefahr
Offiziell sollen die Kassen durch den Brief-Nichtversand einen zweistelligen Millionenbetrag einsparen. Doch ein Nebeneffekt dürfte viel wichtiger sein: Er verzögert, dass Versicherte zu anderen Kassen oder gar in die private Krankenversicherung (PKV) abwandern. Indem Mitglieder erst mit der ersten Gehaltsabrechnung von ihrem gestiegenen Beitrag erfahren, dürfte ihr Sonderkündigungsrecht schon verflossen sein. Viele von ihnen erhalten ihren Gehaltszettel erst kurz vor Monatsende (und schauen dann mitunter nicht mal drauf), und das Sonderkündigungsrecht läuft nur bis zum Ablauf des Monats, für den die Kasse den erhöhten Beitrag zum ersten Mal einkassiert. Danach bleibt nur noch die normale Kündigungsfrist, und die beträgt zwei Monate.
Aussagen aus der Branche legen nahe, dass die Rechnung höchst unterschiedlich aufgeht. „Die Nachfrage nach PKV-Verträgen steigt zwar seit Jahren, hat jetzt durch die steigenden Zusatzbeiträge aber keinen zusätzlichen Schub erhalten“, sagt zum Beispiel der auf PKV spezialisierte Makler Sven Hennig aus Bergen auf Rügen. Er rechne erst zeitversetzt im Frühjahr mit zusätzlich erhöhter Nachfrage.
Seite 2: Das Kündigungsschreiben für den Generationenvertrag
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