Die Leipziger Ernährungswissenschaftlerin Anne Retzlaff kocht mit adipösen Kindern ein Puten-Gemüse-Gericht. © Picture Alliance
  • Von Joachim Haid
  • 18.06.2019 um 12:00
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lesedauer Lesedauer: ca. 04:10 Min

Immer mehr Menschen in Deutschland sind übergewichtig, oder sogar adipös. Als Patentrezept zur Gewichtsreduktion ist häufig zu lesen: Man muss mehr Kalorien verbrennen, als man zu sich nimmt. Wer es damit nicht schafft, Gewicht zu verlieren, wird meist als undiszipliniert oder schwach bezeichnet. Ist das wirklich so einfach? Sollte unser Stoffwechsel wirklich so einfach funktionieren?

Im Jahr 2017 waren 37 Prozent der Bevölkerung über 18 Jahre übergewichtig und 16 Prozent adipös (BMI über 30). Damit schleppt gut jeder zweite Erwachsene zu viel Gewicht mit sich herum. Die wenigsten, weil sie entsprechend muskulös sind. Wenn Menschen Gewicht reduzieren wollen, wird ihnen meist empfohlen, einfach weniger zu essen und sich mehr zu bewegen. Wenn das aber wirklich so einfach wäre, wieso gelingt es vielen dann nicht? Wieso steigt der Anteil der übergewichtigen Menschen in Deutschland seit über 40 Jahren?

Energiegehalt von Lebensmitteln

Auf verpackten Lebensmitteln findet man Nährwertangaben. Darunter auch die Information, wie viel Kilokalorien (kcal) 100 Gramm dieses Produktes liefern. Wie wird das ermittelt? Hier ist zwischen dem physikalischen Brennwert und dem physiologischen zu unterscheiden. Der physikalische wird mit einem sogenannten Bombenkaloriemeter ermittelt. Dabei werden Stoffe, zum Beispiel Fette, Kohlenhydrate oder Eiweiße, vollständig verbrannt. Gleichzeitig wird gemessen, um wie viel Grad sich Wasser erwärmt, das die Brennkammer umgibt. Um 1 Gramm Wasser um 1 Grad Celsius zu erhöhen, wird 1 Kalorie benötigt. Da auf Lebensmitteln kcal angegeben werden, handelt es sich hierbei also um die Energie, die benötigt wird, um 1 Liter Wasser um 1 Grad Celsius zu erwärmen.

Nun werden Lebensmittel im Menschen jedoch nicht zu 100 Prozent unter kontrollierten Umständen verbrannt. Wenn wir essen und verdauen, verbrauchen wir dabei Energie, etwa durch das Kauen, die Bildung von Verdauungssäften oder durch den Aufwand für die Ausscheidung. Bei der Verdauung entsteht außerdem Wärme. Hier spricht man vom thermogenetischen Effekt. Dieser ist je nach Nährstoffquelle unterschiedlich. Bei Kohlenhydraten ist er geringer als bei Eiweißen oder Fetten. Beim Menschen spricht man vom physiologischen Brennwert. Physiologischer Brennwert von Makronährstoffen:

  • Fett: 9 kcal / g
  • Eiweiß: 4 kcal / g
  • Kohlenhydrate: 4 kcal / g

Der physiologische Brennwert gibt die Energie an, die beim Stoffwechsel dem Körper zur Verfügung gestellt werden kann. Betrachten wir die obere Tabelle der Brennwerte unterschiedlicher Nährstoffe, könnte man den Schluss ziehen, dass es bezüglich der Gewichtszu-, oder -abnahme irrelevant sei, ob man nun viel Eiweiß oder Kohlenhydrate isst. Schließlich haben beide in etwa den gleichen kcal-Wert. Die nächste logische Folge wäre, dass man Fett möglichst meiden sollte, da es mit 9 kcal / g mehr als doppelt so viel Energie liefert wie Eiweiß oder Kohlenhydrate.

Kohlenhydrate sind nicht gleich Kohlenhydrate

So einfach scheint der menschliche Stoffwechsel jedoch nicht zu funktionieren. Dr. Jason Fung, ein Arzt aus Toronto, schreibt dazu in seinem Buch „Die Schlankformel“:

Daten, die … in den USA von 1990 bis 2010 gesammelt wurden, erkennen keinen Zusammhang zwischen Kalorienzufuhr und Gewichtszunahme. Obwohl die Fettleibigkeit jährlich um 0,37 Prozent stieg, blieb die Kalorienzufuhr praktisch gleich… In Großbritannien verlief die Fettleibigkeitsepidemie größtenteils parallel zur Entwicklung in Nordamerika… Es korrelierte weder eine erhöhte Kalorienzufuhr noch ein erhöhter Konsum von Nahrungsfetten mit Fettleibigkeit – was gegen einen kausalen Zusammenhang spricht. Die Zahl der zugeführten Kalorien nahm sogar leicht ab, selbst als die Zahl der Fettleibigen stieg. Andere Faktoren, unter anderem die Herkunft jener Kalorien, hatten sich aber verändert“.

Fettleber durch falsche Ernährung

Ist also die Menge der Kalorien, die ein Lebensmittel liefert, weniger relevant als die Quelle, aus der diese Kalorien stammen? Ein gutes Beispiel dafür sind Glucose und Fruktose. Beide gehören zu den Kohlenhydraten, werden im Körper aber unterschiedlich verarbeitet. Während Glucose praktisch von jeder Zelle verbrannt werden kann, wird Fruktose zum größten Teil in der Leber verstoffwechselt. Deren Kapazität ist jedoch begrenzt. Strömt zu viel Fruktose auf die Leber ein, lagert sie diese als Fett ein. So kann ein überhöhter Fruktosekonsum zu einer nicht-alkoholbedingten Fettleber führen. Ein Zuviel an Fruktose wird also erst gar nicht verbrannt, sondern eingelagert. Betreibt man nun Sport, werden aber zuerst die Glykogenspeicher geleert, bevor sich der Körper an das Speicherfett macht. Isst man anschließend wieder primär Kohlenhydrate, füllen sich die Glykogenspeicher und stehen für die nächste sportliche Betätigung wieder zur Verfügung. Während Fette den Insulinspiegel kaum ansteigen lassen, erhöhen ihn Kohlenhydrate deutlich. So lange der Insulinspiegel hoch ist, kann aber praktisch kein Fett aus den Fettzellen heraus, um in den Zellkraftwerken (Mitochondrien) verbrannt zu werden.

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Joachim Haid

Joachim Haid ist Gründer des Gesundheitsprogramms PaleoMental®, zudem Gesundheitscoach und Heilpraktiker in Ausbildung.

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Wie die Lebensmittelindustrie unsere Urzeit-Instinkte ausnutzt – Pfefferminzia.de
Vor 5 Jahren

[…] und so zu wenig Kalorien verbrennen würden. Warum das so nicht stimmt, haben wir bereits in einem älteren Beitrag als Märchen […]

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