- Von Karen Schmidt
- 18.01.2023 um 15:36
bghStehen einem Gastronom Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung (BSV) zu, wenn er wegen der Corona-Pandemie seinen Betrieb schließen musste? Diese Frage beschäftigte seit der Corona-Pandemie zahlreiche Gerichte. Im Januar 2022 fällte der Bundesgerichtshof (BGH) ein erstes Urteil dazu. Demnach greift eine Betriebsschließungspolice bei einem pandemiebedingten Lockdown nicht, wenn sich die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger aus einem als abschließend zu wertenden Katalog in den Versicherungsbedingungen ergeben und dort weder die Krankheit Covid-19 noch der Krankheitserreger Sars-Cov-2 aufgeführt ist (wir berichteten darüber hier und hier).
Nun musste der BGH erneut ein Urteil zum Thema Betriebsschließungen während der Corona-Lockdowns fällen.
Betriebsschließungen – BGH stärkt Versicherern den Rücken
„Versicherte sollten sich darauf einstellen, keine Leistungen aus der BSV zu erhalten“
BSV-Streit – das ist der aktuelle Stand der Rechtsprechung
Was war geschehen?
Die Klägerin muss ihren Hotelbetrieb wegen der Corona-Pandemie in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 teilweise einstellen. Von ihrer Betriebsschließungsversicherung verlangt sie Entschädigungsleistungen und die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden zu ersetzen.
Dem Versicherungsvertrag liegen die „Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)“ zugrunde. Darin heißt es unter anderem:
3 Versicherte Gefahren und Schäden
3.1 Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten
Der Versicherer leistet … Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)
3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung); …
3.4 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.
Der zuständige Landkreis hatte per Allgemeinverfügung am 18. März 2020 Hotelbesitzern & Co. verboten, Gäste zu beherbergen. Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen kam es am 2. November 2020 erneut zum Übernachtungsverbot.
Die bisherigen Urteile
Das Landgericht Hannover hat geurteilt, dass die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt und die Versicherung verpflichtet ist, der Klägerin den aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebes entstandenen Schaden zu ersetzen (Grund- und Teilurteil vom 19. April 2021, Aktenzeichen 2 O 164/2.
Die Versicherung ging in Berufung. Das Oberlandesgericht Celle wies die Zahlungsklage dann insgesamt ab und wies weitergehende Rechtsmittel zurück (Urteil vom 18. November 2021, 8 U 123/21). Hiergegen richten sich die Revisionen beider Parteien.
Das neue Urteil des BGH
Die Richter des Bundesgerichtshofs entschieden nun, dass einer Versicherungsnehmerin auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie während des zweiten Lockdowns zustehen. Gleichzeitig machten sie deutlichen, dass der Versicherer nicht verpflichtet ist, eine Entschädigung aus Anlass der Betriebsschließung während des ersten Lockdowns zu zahlen (Urteil vom 18. Januar 2023, IV ZR 465/21).
Zum Thema namentlich genannter Krankheiten steht der BGH auf der Seite des Berufungsgerichts. Die Richter dort sahen es nicht gegeben, dass sich die Liste der genannten Krankheiten auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses beschränkt. Weil sich die Bedingungen mehrfach auf das Infektionsschutzgesetz (IFSG) bezogen, aber eben ohne eine konkrete Gesetzesfassung oder einen Zeitpunkt zu nennen, könne der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles für die Leistung maßgeblich ist.
Auf der anderen Seite sei auch eine Auslegung dahin möglich, dass eine Bezugnahme auf die Paragrafen 6 und 7 IFSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung erfolgen sollte. Problem dabei: Der Klausel ließe sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Versicherung bei der Festlegung des Leistungsversprechens auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den oben genannten Paragrafen namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger verweist. Vielmehr sei auch die vom Berufungsgericht erwogene Auslegung möglich, die Klausel erfasse mit ihrer Bezugnahme auf die entsprechenden Paragrafen die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger.
„Diese Auslegungszweifel gehen zu Lasten des Verwenders“, so die Richter. Ziffer 3.4 BBSG 19 enthalte – anders als die Versicherungsbedingungen, die dem BGH-Urteil vom Januar 2022 zugrunde lagen – keine namentliche Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger.
„Das Berufungsgericht ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin aus Anlass der teilweisen Einstellung ihres Betriebs ab dem 2. November 2020 die begehrte Feststellung verlangen kann, weil die Krankheit Covid-19 und der Krankheitserreger Sars-Cov-2 mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (..) namentlich genannt wurden.“
Weiter habe das Berufungsgericht richtigerweise angenommen, dass es an der nach Ziffer 3.4 BBSG 19 vorausgesetzten namentlichen Nennung der Krankheit oder des Krankheitserregers zum Zeitpunkt der ersten Betriebsschließung durch die Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 fehlte.
Mit der Begrenzung des Leistungsversprechens auf „die im Infektionsschutzgesetz in den Paragrafen 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ erschließe sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass nur die in diesen Vorschriften mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei hinreichend erkennbar, dass der sich ergebende Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger nicht sämtliche nach dem IFSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasse und daher Lücken im Versicherungsschutz bestehen könnten. „Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des IFSG vom Versicherungsschutz erfasst wird“, heißt es in der Pressemitteilung des BGH weiter.
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