EZB-Gebäude am Tag der erhöhten Zinsen, 15. Dezember 2022: Die Märkte reagierten frostig © picture alliance / EPA | ANDRE PAIN
  • Von Andreas Harms
  • 16.12.2022 um 11:26
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Die Europäische Zentralbank ist den erwarteten nächsten Zinsschritt gegangen, droht aber kräftig mit dem Zeigefinger – es könnten noch einige weitere Schritte folgen. Zudem will sie im neuen Jahr den Anleihemärkten Geld entziehen – Experten zeigen sich nicht gerade begeistert und stören sich an der Geräuschkulisse.

Und weiter geht die Fahrt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die drei Leitzinsen um je einen halben Prozentpunkt erhöht, um der Inflation Herr zu werden. Das ist weniger als bei den letzten Zinsschritten, bei denen es um je 0,75 Prozentpunkte hinauf ging.

Damit steigt der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte auf 2,5 Prozent. Das ist gewissermaßen der wichtigste Leitzins: Banken können sich zu diesem Satz für eine Woche bei der EZB Geld leihen. Der Satz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität steigt auf 2,75 Prozent. Und mit der Einlagefazilität (täglich verfügbare Bankguthaben bei der EZB) geht es auf 2,0 Prozent hinauf. Die neuen Sätze treten am 21. Dezember in Kraft.

Daneben – und das ist für die Märkte sehr wichtig – haben die Währungshüter beschlossen, ihre mit Anleihen noch immer aufgeblähte Bilanz abzubauen. Bis Ende Februar 2023 wollen sie noch alles im Rahmen des Anleihekaufprogramms (APP) fällig werdende Geld komplett wieder zurück in andere Anleihen stecken. Danach allerdings will sie jeden Monat 15 Milliarden Euro weniger reinvestieren. Man könnte also auch sagen: Sie entzieht dann jeden Monat dem Anleihemarkt 15 Milliarden Euro.

Obwohl man das allerorts so erwartet hatte, reagierte der Markt kräftig: Der Euro wertete gegenüber dem US-Dollar auf, der Dax rauschte um mehr als 3 Prozent nach unten ab, und die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe zog um 0,2 Prozentpunkte (20 Basispunkte) auf 2,15 Prozent an. Nicht übel für einen einzigen Tag.

Das könnte insbesondere daran gelegen haben, dass sich die EZB kämpferischer als sonst zeigt. Die volkswirtschaftliche Abteilung schraubte die Inflationsprognosen hoch. 6,3 Prozent sollen es 2023 sein und 3,4 Prozent im Jahr darauf. Dazu heißt es wörtlich in der Mitteilung:

„Der EZB-Rat ist insbesondere der Ansicht, dass die Zinssätze noch deutlich und stetig steigen müssen, um ein Niveau zu erreichen, das ausreichend restriktiv ist, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zu gewährleisten. Die Beibehaltung eines restriktiven Zinsniveaus wird die Inflation im Laufe der Zeit durch eine Dämpfung der Nachfrage verringern und auch dem Risiko einer anhaltenden Verschiebung der Inflationserwartungen nach oben vorbeugen.“

Das heißt, dass die Zentralbank sogar eine Rezession in Kauf nimmt, um die Inflation zu drücken. Was übrigens – nebenbei bemerkt – genau ihr offizieller Auftrag ist.

GDV

Die Reaktionen ließen im Publikum nicht lange auf sich warten. So zückte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen gleich mal sein Twitter-Konto und schrieb von einer „nachvollziehbaren Entscheidung“, da die Inflation zuletzt leicht zurückgegangen sein. Er rechne zwar mit weiter steigenden Zinsen, aber eher moderat: „Eine Preis-Lohn-Spirale, die ein härteres Eingreifen nötig machen würde, sehe ich derzeit nicht. Dennoch ist in 2023 eine weitere geldpolitische Straffung zu erwarten, über alle Instrumente.“

DWS

Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa bei der Fondsgesellschaft DWS, erkennt bei der EZB“ große Entschlossenheit. Mehr als die Märkte erwartet haben. „Die Aussage, dass sie die Zinsen in einem gleichmäßigen Tempo weiter erhöhen will, kann man nur so interpretieren, dass es noch zwei weitere Schritte à 50 Basispunkte geben wird – mit deutlichem Risiko nach oben“, schreibt er in einem Kommentar.

Candriam

Nicolas Forest, Anleihechef bei der Fondsgesellschaft Candriam, sieht indes einiges Unheil aufziehen. „Die EZB spielt 2023 ein gefährliches Spiel“, schreibt er und stört sich vor allem an einigen für ihn eher aggressiv klingenden Äußerungen. Nämlich, dass die Zinssätze noch deutlich und stetig steigen müssten, um das Inflationsziel von 2 Prozent mittelfristig zu erreichen. Die Anleihemärkte würden unter Druck geraten. Und weil auch noch das Angebot an Anleihen steigt, bestünde „die Gefahr hoher Zinsen, die den Immobilienmarkt anfälliger machen könnten“, so Forest.

Bantleon

Beim Vermögensverwalter Bantleon bemängelt man, dass sich die EZB nicht entscheiden kann: „Hieß es im September noch, der EZB-Rat habe erhebliche Fortschritte beim Zurückfahren des geldpolitischen Akkommodationsgrads erzielt, werden nun weitere signifikante Zinsanhebungen in Aussicht gestellt. Es ist auch keine Rede mehr davon, dass man bei künftigen Zinsentscheidungen die bereits erfolgte Straffung sowie die Wirkungsverzögerung der Geldpolitik berücksichtigen wird“, schreibt Senior-Volkswirt Jörg Angelé.

Hüh und Hott in Frankfurt? Laut Angelé hängt das damit zusammen, dass die EZB ihre Inflationsaussichten so deutlich nach oben geschraubt hat. Zu hoch, findet der Volkswirt und geht stattdessen schon für Ende 2023 von Raten in der Nähe der ersehnten 2,0 Prozent aus. „Darüber hinaus sind die Annahmen der Notenbank zur Konjunkturentwicklung in unseren Augen zu optimistisch“, sagt er. Es sei deshalb kaum wahrscheinlich, dass der Leitzins weit über 2,5 Prozent steigt und die EZB ihn sogar wegen der Rezession wieder senken könnte.

Pimco

Wie die Meinungen doch auseinander gehen können. Beim Anleihemanager Pimco hält man den vom Markt erwarteten Endsatz (quasi den höchsten Zinssatz in diesem Zyklus) von 3,25 Prozent gar nicht mal für unvernünftig.

Aber wahrscheinlich kommt es am Ende doch wieder ganz anders. Wir werden sehen.

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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