- Von Tobias Daniel
- 04.11.2024 um 12:22
Pfefferminzia: Warum tun sich Vermittler schwer damit, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abzufragen?
Norman Wirth: Die Vermittler haben die gesetzliche Pflicht, die Kunden bei der Beratung zu Versicherungsanlageprodukten oder Finanzanlageprodukten nach ihrer Nachhaltigkeitspräferenz zu befragen und dann ein passendes Produkt zu empfehlen – falls es eines gibt. Hat der Kunde keine Präferenzen oder will sie nicht angeben, ist auch das zu dokumentieren und das Thema wäre dann so weit beendet. In der Praxis geben die Kunden zunehmend seltener an, dass sie überhaupt über das Thema Nachhaltigkeit reden wollen.
Ein Jahr nach der Einführung der Abfragepflicht zeigte das 16. AfW-Vermittlerbarometer – eine große, jährliche Umfrage unter Finanzberatern mit mehr als 1.000 Teilnehmern – einen signifikanten Rückgang im Kundeninteresse an Nachhaltigkeit. Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig. In dem einem Jahr zwischen den beiden Umfragen war viel passiert. In der öffentlichen Diskussion ist der Klimawandel hinter aktuelle Themen wie steigende Preise, Wohnungsmangel und geopolitische Risiken wie der Krieg in der Ukraine und die Kämpfe im Nahen Osten zurückgetreten. Das kommunikative Desaster der Regierung und die Abläufe beim Heizungsgesetz taten ihr Übriges.
Eine der zentralen Herausforderungen ist die Komplexität der regulatorischen Anforderungen selbst. Die regulatorischen Vorgaben für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei den Kunden, insbesondere im Hinblick auf die Taxonomie, die Offenlegungsverordnung SFDR und die Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen (PAIs), sind äußerst kompliziert, für Laien unverständlich und damit in der Praxis schwer bis gar nicht umsetzbar. Die Erfahrung zeigt, dass daher nur ein kleiner Teil Kunden bereit und in der Lage ist, den komplexen Abfrageprozess mit den Vermittlern zu durchlaufen. Zusätzlich erschwert die mangelhafte Datenverfügbarkeit und -qualität die Situation weiter. Das heißt, die Mehrheit der Vermittler fragt die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden zwar ab. Das Thema endet aber in der Regel bereits bei den Eingangsfragen.
Wie Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen
Viele Kunden haben keinen Bock auf Nachhaltigkeit
Welche rechtlichen und finanziellen Folgen könnte es für einen Vermittler haben, wenn er einfach „nein“ ankreuzt?
Wirth: Wenn ein Vermittler tatsächlich – ohne dass dies auch der Wille des Kunden ist (Was ich bei der absoluten Mehrheit der Dokumentationen nicht glaube!) – dokumentiert, dass keine Nachhaltigkeitspräferenzen vorliegen, hätte das die gleichen Folgen, wie jede andere falsche Dokumentation. Wenn sie denn beweisbar ist und zu einem draus resultierenden Schaden für den Kunden führt. Eventuell hätte es auch wettbewerbsrechtliche und aufsichtsrechtliche Folgen. Wie gesagt: Ich halte das nur für einen sehr theoretischen Fall.
Können die Industrie- und Handelskammern als „Aufsicht“ dabei überhaupt eine Kontrollfunktion ausüben und wenn ja, wie sieht diese aus und wie wirksam sind sie dabei wirklich?
Wirth: Ich würde das Wort Aufsicht nicht in Anführungsstriche setzen, als wären die IHKn nur eine Art Pseudoaufsicht. Das sind sie nicht. Sie machen einen guten Job, insbesondere auch im europäischen Vergleich. Wollten sie prüfen, ob die Nachhaltigkeitspräferenzen korrekt abgefragt werden, müssten sie vielleicht anonyme Stichproben machen. Das wäre ein extremer Aufwand für eine einzelne IHK, bei dem ich jedenfalls kein sinnvolles Verhältnis von Aufwand zu Nutzen erkennen kann.
„Unrealistische und nicht umsetzbare Regulierung“
Wie können die Politik und die IHKn darauf einwirken, dass die Vermittler ihrer Verpflichtung künftig besser nachkommen und welche Hürden müssten dafür beseitigt werden?
Wirth: Es ist nicht an Politik und IHKn, auf die Vermittlerschaft einzuwirken. Anders herum wird ein Schuh draus. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die regulatorischen Vorgaben für die Präferenzabfrage absoluter Murks sind. Bafin-Chef Branson und viele andere haben sich schon zu der unrealistischen und nicht umsetzbaren Regulierung in Sachen Nachhaltigkeit geäußert. Änderungen müssen seitens der europäischen Gesetzgebung her.
Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW hat in mehreren Stellungnahmen an die EU-Kommission und weitere europäische Institutionen deutlich gemacht, dass das wohlmeinende Ziel, Nachhaltigkeitsaspekte stärker in der Finanzberatung zu verankern, durch die aktuell vorgegebene Komplexität und den Aufwand im Beratungsgespräch verfehlt wird. Es fehlt dafür völlig die Akzeptanz bei Kunden und Vermittlerschaft. Eine radikale Vereinfachung der Prozesse scheint unerlässlich, um Nachhaltigkeitsaspekte sinnvoll in die Finanzberatung zu integrieren. Wir fordern daher radikale Änderungen der regulatorischen Vorgaben, um die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Finanzsektor realistisch und wirksam zu gestalten.
„Ähnlich dem Nutriscore für Lebensmittel“
Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenz bei Kunden sollte weniger komplex und aufwendig gestaltet werden, um eine breitere Akzeptanz und Implementierung in der Praxis zu ermöglichen. Nur so kann das Ziel, nachhaltige Investitionen zu fördern und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeitsaspekte zu schaffen, tatsächlich erreicht werden. Der AfW setzt sich weiterhin für eine pragmatische und kundenfreundliche Lösung ein, die den Bedürfnissen sowohl der Vermittler als auch der Kunden gerecht wird. Der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung für eine ESG-Skala bei Finanzprodukten stellt insofern eine vielversprechende Entwicklung dar, die den Weg für eine tiefgreifende Veränderung in der Beratung und Auswahl nachhaltiger Finanzprodukte ebnen könnte.
Ähnlich dem Nutriscore für Lebensmittel oder dem Energieeffizienzlabel der EU für viele Elektrogeräte, würde diese Skala, die in Kategorien von A (hohe Nachhaltigkeit) bis F (Non-ESG) eingeteilt ist, sowohl Berater als auch Kunden einen klaren und sofort verständlichen Überblick über die Nachhaltigkeitseigenschaften von Finanzprodukten bieten. Der AfW begrüßt diesen Vorschlag ausdrücklich, da er nicht nur die Informationslücke für Privatanleger schließt, sondern auch ein dringend benötigtes Instrument zur Vereinfachung des Beratungsprozesses bietet.
Die vom Sustainable-Finance-Beirat und ganz ähnlich auch vom DIN-Institut vorgelegten Empfehlungen bieten eine gute Diskussionsgrundlage für eine regulatorische Anpassung, die die Akzeptanz und das Engagement im Bereich der nachhaltigen Finanzprodukte signifikant erhöhen könnte. Gerade auch die DIN-Bestrebungen unterstützen wir aktiv, unter anderem mit meiner Mitarbeit im Beirat des Normenausschusses Finanzen.
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