- Von Jens Lehmann
- 21.06.2024 um 09:19
Pfefferminzia: Was sind die größten Herausforderungen für Vermittler, wenn sie ihren Kunden nachhaltige Finanzprodukte anbieten?
Torsten Müller: Eine Herausforderung ist das mangelnde Vertrauen von Kunden und Vermittlern in nachhaltige Anlageprodukte, vor allem durch mehrere Greenwashing-Skandale. Nicht geholfen hat die Berichterstattung einzelner Medien, die teils den Eindruck erweckt hat, viele Anbieter würden nicht sauber und verantwortungsvoll arbeiten. Zweites Problem ist die Marktregulierung für nachhaltige Finanzprodukte, allem voran die umständliche Pflichtabfrage der Nachhaltigkeitsvorlieben bei den Kunden.
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Was ist das Problem an den regulatorischen Vorgaben?
Müller: Sie machen die Entscheidung für nachhaltige Finanzprodukte unnötig schwer. Die gesamte Regulatorik ist viel zu umständlich und nicht praxistauglich. Niemand ist doch ernsthaft dagegen, künftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Wozu dann eine Nachhaltigkeitsabfrage, die es kompliziert für Kunden macht, sich für ein nachhaltiges Produkt zu entscheiden?
Was würden Sie ändern, wenn Sie es könnten?
Müller: Der Markt ist überreguliert. Bei der Geldanlage sollte kein Kunde mehr eine seitenlange Abfrage seiner Nachhaltigkeitsvorlieben erdulden müssen. Ich würde die Abfrage umkehren: Jeder, der ein nicht nachhaltiges Produkt haben will, sollte das begründen. So würde Nachhaltigkeit bei Geldanlagen zum Standard werden. Da müssen wir hinkommen.
Und wie lässt sich das Vertrauen in nachhaltige Produkte stärken? Helfen Ratings und Siegel?
Müller: Grundsätzlich ja. Doch welchem Rating oder Siegel kann ich vertrauen? Ein Produkt wird in einem Rating Testsieger, im nächsten landet es im Mittelfeld. Das macht es schwer für Vermittler und Kunden. Eine Lösung könnte sein, sich führende Ratings anzuschauen, zum Beispiel von Finanztest. Auch bei kleinen Boutique-Anbietern ist man gut aufgehoben. Sie haben sich meist ganz der Nachhaltigkeit verschrieben und handeln nicht auf Basis von Marketingstrategien, sondern aus Überzeugung.
Haben Privatanleger das Thema Nachhaltigkeit ein wenig aus den Augen verloren, weil sie aktuell ganz andere Sorgen haben als beispielsweise die Klimakrise?
Müller: Nachhaltigkeit ist den Menschen trotz vieler Probleme weiterhin sehr wichtig. Mein Eindruck ist eher, dass sie von Verhaltensvorgaben genervt sind. Beispiel Heizungsgesetz, da wird uns eingeredet: Wenn es nicht so umgesetzt wird, geht die Welt unter. Natürlich müssen wir uns beim Heizen von fossilen Energieträgern verabschieden. Aber der Alarmismus und die ständigen politischen Richtungswechsel sind schädlich. Nachhaltigkeit ist eine langfristige Strategie und das genaue Gegenteil davon, was wir derzeit erleben. Wir brauchen mehr Zukunftsoptimismus, nicht ständig den erhobenen Zeigefinger.
Mit welchen Argumenten können Vermittler Kunden für nachhaltige Produkte begeistern?
Müller: Nehmen wir das Beispiel Altersvorsorge. Solche Produkte schließen im Kern zwei Gruppen ab: Eltern und Großeltern für ihre Kinder oder Enkel. Und Jüngere für sich selbst. Eltern wünschen sich neben einer guten finanziellen Absicherung ihrer Kinder auch eine lebenswerte Zukunft für ihren Nachwuchs. Darum sind sie offen für nachhaltige Anlagen. Wie auch Jüngere, die Altersvorsorgeprodukte für sich selbst abschließen. Nachhaltigkeit ist für sie Lifestyle, sie gehört zu ihrem Leben. Wer sich zum Beispiel vegetarisch ernährt, will vermutlich auch sein Geld nachhaltig anlegen. Nachhaltige Finanzprodukte sind zudem aus finanziellen Gründen interessant. Denn bei allen großen Zukunftsthemen geht es um Nachhaltigkeit: Ernährung, Bildung, Gesundheit, ressourcenschonende Technologien oder Infrastruktur. Langfristig eröffnen sich nachhaltig handelnden Anlegern dadurch sehr gute Zukunftschancen. Und damit auch Vermittlern.
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