- Von Sabine Groth
- 26.11.2024 um 08:32
Seit August 2022 sind Versicherungsvermittler verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenz ihrer Kunden und Kundinnen abzufragen, und seit April 2023 müssen auch Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater diese Aufgabe im Beratungsgespräch erfüllen. Richtig gut scheint das Thema Nachhaltigkeit in der Kundschaft allerdings nicht anzukommen – oder zumindest nicht die Art, wie ihr Interesse abgefragt wird.
Das jährliche Vermittlerbarometer des Bundesverbands Finanzdienstleistung AfW zeigt, dass 2022 noch 53 Prozent der Kunden offen für Gespräche über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen waren, ein Jahr später waren es nach Angaben der befragten Vermittler nur noch 22 Prozent. „Gleichzeitig ist der Anteil der Kunden, denen das Thema egal ist, von 25 auf 62 Prozent gestiegen“, sagt AfW-Vorstand Norman Wirth. Für die aktuell laufende 2024er-Umfrage erwartet er erneut ein ernüchterndes Ergebnis.
Gründe für das gewachsene Desinteresse gibt es mehrere. „In der öffentlichen Diskussion ist der Klimawandel hinter aktuelle Themen wie steigende Preise, Wohnungsmangel und geopolitische Risiken zurückgetreten“, so Wirth. Eine zentrale Herausforderung sei jedoch die Komplexität der regulatorischen Vorgaben für die Abfragen, die in der Praxis nur schwer bis gar nicht umsetzbar seien. Erschwerend komme die mangelhafte Datenverfügbarkeit und -qualität dazu.
Auch Martin Klein, Vorstand des Votum-Verbands, sieht die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen als abschreckend für Kunden und Vermittler. „Die Anforderungen des europäischen Gesetzgebers überfordern insbesondere die Kunden“, so Klein. So verstecke sich in den Leitlinien der europäischen Finanzmarktaufsicht ESMA die Forderung an die Vermittler, den Kunden sowohl die Taxonomieverordnung als auch die Offenlegungsverordnung und das Konzept der Principal Adverse Impacts (PAI) zu erläutern. Da muss man erst einmal einen Kunden finden, den das nicht überfordert. Zumal die Kunden, bevor es im Beratungsgespräch überhaupt um Nachhaltigkeit geht, schon im Rahmen der Geeignetheitsprüfung, eine Menge Fragen beantworten mussten.
„Misslungene Nachhaltigkeitspräferenzabfrage neu ausgestalten“
„Regulatorische Vorgaben für die Präferenzabfrage sind Murks“
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Lösungen für das Abfrage-Dilemma
Die Situation scheint festgefahren, eine schnelle Lösung nicht in Sicht. Wirth sieht die EU-Politik in der Pflicht, die Präferenz-Abfrage radikal zu vereinfachen, damit die Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Finanzberatung auch praktisch umsetzbar ist und von Kunden und Vermittlern akzeptiert wird. Er plädiert für kundenfreundliche Lösungen und begrüßt die vom Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung entworfene ESG-Skala. Diese Skala würde ähnlich dem von Lebensmitteln bekannten Nutri-Score die Nachhaltigkeitseigenschaften von Finanzprodukte in Kategorien von A bis F bewerten. „Dieser Vorschlag würde nicht nur die Informationslücke für Privatanleger schließen, sondern auch ein dringend benötigtes Instrument zur Vereinfachung des Beratungsprozesses bieten“, betont Wirth.
Auch Klein fordert von der Politik, „die misslungene Präferenzabfrage gänzlich neu zu gestalten“. Dies dürfte allerdings nicht sofort passieren, und daher rät er Vermittlern, bis dahin eigene Brücken zu nachhaltigen Investments zu bauen. Klein: „Dies kann beispielsweise mit folgender Frage an Kunden erfolgen: Wenn Sie keine eigene Festlegung zur Nachhaltigkeit der von ihnen gewünschten Kapitalanlage treffen wollen, sind Sie dennoch daran interessiert, dass ich Ihnen eine Kapitalanlage vorstelle, die das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigt und Ihnen erläutere, in welcher Form dies erfolgt?“
Mit Nachhaltigkeitskompetenz neue Zielgruppen erschließen
Marcel Blumenthal, Direktor für Banken- und Vermittlervertrieb bei Ökoworld, einem Anbieter von nachhaltigen Investments, könnte sich eine ganz andere Fragestellung vorstellen. Es hält es grundsätzlich für den falschen Ansatz, dass Kunden sich im Beratungsgespräch aktiv für Nachhaltigkeit entscheiden müssen. „Warum müssen sie sich stattdessen nicht explizit dagegen aussprechen, wenn sie es partout nicht wollen? Statt gefragt zu werden, ob sie nachhaltig investieren möchten, sollten sie darüber nachdenken, ob sie in unethische oder umweltschädigende Finanzprodukte investieren möchten“, so Blumenthal.
Dieser Ansatz dürfte seiner Ansicht nach vielen die Augen öffnen und nachhaltigen Produkten Rückenwind verleihen. So seien viele Anleger an nachhaltigen Investments interessiert, haben aber noch investiert, da ihnen keine nachhaltigen Produkte aktiv angeboten wurden. „Wer in der Lage ist, nachhaltige Geldanlagen fachgerecht zu beraten, kann sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Mit der Thematisierung von Nachhaltigkeitskriterien können Berater zusätzliche Kompetenz beweisen und gleichzeitig neue Zielgruppen erschließen“, sagt Blumenthal.
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