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Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 17.07.2024 um 10:38
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lesedauer Lesedauer: ca. 02:30 Min

Versicherte müssen im Falle einer Berufsunfähigkeit beweisen, dass sie ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen können. Dabei dürfen aber keine überspannten Anforderungen an die Darlegung gestellt werden, urteilte nun der Bundesgerichtshof. Rechtsanwalt Björn Jöhnke berichtet über den Fall.

Was war geschehen?

Eine Versicherungsnehmerin war selbstständig als Kommunikationsdesignerin tätig. Infolge psychischer Erkrankungen stellte die sie einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit (BU). Der Versicherer lehnte diesen jedoch ab, da die Versicherungsnehmerin den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit vermeintlich nicht erbracht habe.

Die Frau zog vor Gericht. Sie legte im Verfahren die Gestaltung einer typischen Arbeitswoche dar. Das Landgericht Neuruppin wies die Klage ab. Auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg brachte keinen Erfolg. Die Darlegung der Berufstätigkeit sei ihr nicht gelungen, so das Berufungsgericht. Die Aussage der Versicherungsnehmerin stimme nicht mit der Tätigkeitsbeschreibung in der Klageschrift überein. Es hätten keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen zum Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gewonnen werden können. Die Versicherungsnehmerin zog schließlich vor den Bundesgerichtshof (BGH).

Anforderungen an Darlegung der Berufstätigkeit

Der BGH entscheid, dass die Versicherungsnehmerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde (BGH-Urteil vom 29.05.2024 – Aktenzeichen IV ZR 189/23). Das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Nachweis der Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit der Versicherungsnehmerin gestellt und sich über ihren Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt.

Der BGH wies zunächst darauf hin, dass Versicherungsnehmer die Berufsunfähigkeit substantiiert vortragen und beweisen müssen. Dazu gehört auch, die berufliche Tätigkeit darzulegen. Als Sachvortrag genügt jedoch nicht die Angabe eines bloßen Berufstyps und der Arbeitszeit. Vielmehr bedarf es einer konkreten Arbeitsbeschreibung, mit der die für die Versicherungsnehmerin anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfanges wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden.

Allerdings stellt der BGH klar, dass die Anforderungen an diese Beweispflicht nicht überspannt werden dürfen. Die Klärung des Berufsbildes verfolgt in erster Linie den Zweck, dem gerichtlich bestellten Sachverständigen die notwendigen Vorgaben zur Beurteilung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit an die Hand zu geben. Sofern feststeht, dass der Versicherungsnehmer einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist, darf ihm der Zugang zu den versicherten Leistungen nicht durch übersteigerte Anforderungen an die Pflicht zur Darlegung der Berufstätigkeit unzumutbar erschwert werden.

Dies habe das Berufungsgericht nicht beachtet. Es hat die Versicherungsnehmerin hinsichtlich des Vorliegens bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit allein mit der Erwägung als beweisfällig angesehen, dass diese den Nachweis dafür, dass die dargestellte „Beispielswoche“ einer typischen Arbeitswoche entsprach, nicht erbracht hat. Die Vorinstanzen haben hier aus dem Blick verloren, dass die Versicherungsnehmerin – unabhängig vom Sachvortrag zu dieser „Beispielswoche“ – in ihrer Vernehmung umfangreiche Ausführungen zu den einzelnen Tätigkeiten und deren Gewichtung wie auch zu ihrer gewöhnlichen wöchentlichen Arbeitszeit gemacht hat.

Zudem verwies sie darauf, dass die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit in der Wahrnehmung von Telefonaten und Terminen sowie in der Recherche und der gedanklichen Vorbereitung für von ihr zu fertigende Entwürfe oder Gestaltungen lagen.

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Das OLG Brandenburg hat den Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz) verletzt, so der BGH. Es habe demnach die Aussage der Versicherungsnehmerin zu ihrer Tätigkeit nicht berücksichtigt und nicht geprüft, inwieweit diese Angaben als Grundlage zur Gutachtenerstattung eines medizinischen Sachverständigen genügen. Vor diesem Hintergrund hatte die Beschwerde der Versicherungsnehmerin zum Bundesgerichtshof Aussicht auf Erfolg und wurde an das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Fazit und Hinweise

Die Entscheidung des BGH betont die Bedeutung des rechtlichen Gehörs sowie den Schutz der Versicherten. Gerichte müssen, bevor sie eine Entscheidung treffen, sorgfältig prüfen, ob alle vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen ausreichend berücksichtigt wurden.

Eine Klage darf nicht allein deswegen abgewiesen werden, weil bestimmte Nachweise vermeintlich nicht erbracht wurden, ohne dabei alternative Beweismittel, beispielsweise Zeugenaussagen in Betracht zu ziehen. Die Berücksichtigung aller relevanten Beweise und Zeugenaussagen durch die Gerichte ist insbesondere zur Feststellung der beruflichen Tätigkeit in den komplexen Fällen der BU-Versicherung von Bedeutung.

Über den Autor

Rechtsanwalt Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft.

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