- Von Redaktion
- 16.08.2019 um 12:39
Pfefferminzia: Wo liegt der Unterschied zwischen situativen und adaptiven Versicherungen?
Stephen Voss: Die situative Versicherung ist im Grunde eine spontane Entscheidung des Kunden, kurz vor oder zum Zeitpunkt einer möglichen erhöhten oder neuen Risikosituation. Das heißt, der Kunde schließt aktiv kurz bevor er zum Beispiel in der Gondel zum Skifahren fährt extra zu diesem Zweck spontan eine Versicherung ab. Dabei bestimmt er entweder selbst, dass ein erhöhtes Risiko vorliegt und schließt einen Vertrag etwa über das Smartphone ab. Alternativ erkennt sein Smartphone oder auch seine Smartwatch anhand der GPS-Daten, dass er sich auf dem Weg in das Skigebiet befindet und schlägt ihm deshalb eine angepasste Risikoabsicherung zu diesem Zweck vor. In beiden Fällen trifft der Kunde spontan, also situativ, eine aktive Entscheidung, einen Vertrag zur Risikoabsicherung einzugehen.
Die adaptive Versicherung basiert im Grunde auf den gleichen Grundvoraussetzungen: Ein smartes Device oder der Kunde erkennt eine erhöhte Risikosituation anhand bestimmter Informationen oder Verknüpfung von Informationen – zum Beispiel Geodaten und Navigationsdaten. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, dass nun keine aktive Vertragsentscheidung des Kunden mehr erforderlich wird. Er hat sich schon viel früher, nämlich beim eigentlichen Abschluss seiner Basisabsicherung dazu entschieden, dass er für bestimmte Risikosituationen bereit ist, für diesen begrenzten Zeitraum eine erhöhte Prämie zu bezahlen. Wenn wir bei unserem Beispiel des Skifahrens bleiben, so hat der Kunde schon beim Vertragsschluss seinen Unfallversicherungsschutz für das Skifahren erhöht. Aber eben nur dann, wenn er auch Ski fährt. Lässt er in einem Jahr die Ski-Ausrüstung im Keller, zahlt er auch nichts. Fährt er aber, muss er nur für genau den begrenzten Zeitraum zahlen, in dem er auch tatsächlich auf der Piste ist. Er ist also auf etwaige Risikosituationen vorbereitet.
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Was verlangt das von den Versicherungen?
Hier gibt es mehrere Grundvoraussetzungen. Der Versicherer muss in der Lage sein, tag-genau abrechnen zu können. Denn die adaptiven Versicherungslösungen gelten ja nicht permanent, sondern nur in begrenzten, tatsächlichen aktiven Zeiträumen. Dazu muss ebenfalls das Produktmodell flexibel sein, denn die erweiterten Leistungen werden entsprechend der Nutzung innerhalb der Vertragsbedingungen an und wieder ausgeschaltet. Das darf natürlich nicht manuell erfolgen, denn dann würden diese Lösungen viel zu teuer, sondern es muss zwingend automatisch erfolgen. Weiterhin muss für die spontane adaptive Zuschaltung der Leistungen eine digitale Schnittstelle geschaffen sein, die solche Informationen – egal ob vom Kunden über die App per Schieberegler hinzugefügt oder ganz automatisiert aufgrund der Daten vom Smart Device – empfängt und in einen digitalen automatisierten Prozess umsetzt. Es bleibt aber nicht bei der automatischen Erfassung, damit der Versicherungsschutz adaptiv angepasst werden kann.
Dem Kunden muss über diese aktiven Zeiträume der zusätzlichen Deckung maximale Transparenz zur Verfügung gestellt werden. Er muss klar in der App oder auf seiner Rechnung erkennen können, welche Leistungen er wann, wie lange und warum erhalten hat. Gleiches gilt natürlich auch für die Schadenabwicklung. Das System muss zwingend die Zeiträume der erweiterten Nutzung im Stammdatensatz des Kunden hinterlegen, damit im Leistungsfall automatisch auf der richtigen Leistungsstufe Ersatz geleistet wird, sonst ist der Kunden schnell frustriert. Auch hier gilt, was bei vielen digitalen Themen der Fall ist: Einfach eine schicke App reicht nicht aus, es muss viel weiter und in die Tiefe der dahinter liegenden Prozesse gedacht werden.
Für welche Produktarten funktionieren solche adaptiven Lösungen?
Naheliegende Produkte für den Einsatz adaptiver Lösungen sind ganz klar Produktarten, in denen es in begrenzten Zeiträumen zu im Grunde gleichartigen aber in der Höhe statistisch größeren Risikosituationen kommen kann. Das Beispiel Unfallversicherung liegt hier nahe. Der generelle Grundschutz bei einem Beinbruch ist als Risiko immer vorhanden, aber beim Skifahren oder anderen exponierten Sportarten ist die Höhe beziehungsweise Komplexität des Risikos größer und der Bedarf beim Kunden damit höher. Natürlich ist der Kunde schon in der Basisdeckung bei einem Beinbruch versichert, doch können fernab von zu Hause im Skigebiet bei einem Beinbruch und der Nachsorgung vor Ort auf den Kunden höhere Folgekosten zukommen als üblich. Und diese sind dann weder von einer gesetzlichen noch privaten Krankenversicherung getragen und auch nicht immer Teil der Basisdeckung einer Unfallversicherung. Damit der Kunde diese Zusatzleistungen aber nicht permanent mitbezahlt, bietet sich das adaptive Modell an. Im Übrigen lässt sich dieser Gedanke auch gut auf die Haftpflichtversicherung übertragen. Gute Beispiele sind die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen in der Privathaftpflicht oder in der Tierhalterhaftpflicht bei Wettbewerben mit dem Hund. Die private Krankenversicherung wäre aus unserer Sicht auch ein Einsatzgebiet. Bei der Berufsunfähigkeit wird es etwas komplexer, da auch Berufsgruppen und andere Faktoren eine Rolle spielen. Trotzdem sind adaptive Zusatzleistungen auch hier durchaus denkbar.
Welche Vorteile haben adaptive Versicherungen gegenüber situativen oder gar ganz klassischen Produktvarianten?
Der wesentliche Vorteil liegt auf der Hand: Kunden bekommen einen automatisch erhöhten Risikoschutz in bestimmten Situationen, ohne diese Risikosituation durchgehend über die gesamte Vertragslaufzeit abzurufen oder bezahlen zu müssen. Durch die adaptive Lösung muss er auch nicht vor jedem Event aufs Neue erst einmal spontan darüber nachdenken, ob er sich jetzt zusätzlich absichern will oder muss. Dies geschieht bestenfalls automatisch im Hintergrund.
Werden adaptive Versicherungen Makler und Vermittler ersetzen?
Ganz klar: Nein. Eigentlich ist das eher andersherum. Der Vermittler kann aktiv den Kunden auf solche adaptiven Möglichkeiten hinweisen, und damit auch seine Position in der Beratung verbessern. Er kennt seinen Kunden. Wenn er einen Kunden hat, der sich gelegentlich in bestimmten erhöhten Risikosituationen befindet, dann ist eine adaptive Lösung eine gute Option. Und es geht hier nicht um Kundengruppen, die sich permanent hohem Risiko aussetzen, hier hat der Vermittler andere Möglichkeiten. Bei allen anderen wird diese Flexibilität aber die Kundenverbindung stärken und dem Vermittler zusätzliche Beratungssicherheit geben.
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