Marco Metzler ist Rating-Spezialist und verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Versicherungsbranche, etwa aus seiner Zeit als Finanzchef von Prisma Life in Liechtenstein. © Metzler-Ratings
  • Von Redaktion
  • 06.07.2023 um 15:28
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In Italien ist der kleine Lebensversicherer Eurovita unter den aufgelaufenen stillen Lasten zusammengebrochen – die Pleite der Cinven-Tochter sei ein Warnschuss für die hiesige Branche, meint der Rating-Spezialist Marco Metzler. Hier erläutert er, was die Lage in Italien von Deutschland unterscheidet, warum ein Aussitzen der stillen Lasten nicht so einfach ist und warum ein Storno-Verbot durch die Bafin besonders brisant wäre.

Die Zinswende fordert auch in Europa erste Opfer. Doch anders als in den USA traf es keine Banken, sondern einen Lebensversicherer. In Italien brach Eurovita unter den aufgelaufenen stillen Lasten zusammen – eine Warnung, was auch deutschen Lebensversicherern passieren kann. Summieren sich ihre stillen Lasten inzwischen doch bereits auf 110 Milliarden Euro – Tendenz weiter steigend.

Der Versicherer Eurovita geriet in Schwierigkeiten, weil die EZB die Zinsen zu schnell und zu stark erhöhte. Denn das führte dazu, dass sich der Wert der von Eurovita gehaltenen Staatsanleihen stark verringerte. Viele Eurovita-Kunden veranlasste das wiederum, ihre Versicherungspolicen vorzeitig zu kündigen, um das Geld in höher rentierliche Produkte zu investieren.

Eurovita – ein kleiner Lebensversicherer mit gerade mal 350.000 Versicherungsnehmern und Policen im Wert von 15,3 Milliarden Euro – hatte in Niedrigzinszeiten stark in Staatsanleihen investiert, darunter viele deutsche und französische. Diese verloren durch die Erhöhungen des Zinsniveaus rasch und deutlich an Wert. Als viele Kunden daraufhin ihre Gelder aus Policen abzogen, stellte die italienische Versicherungsaufsicht Ivass Anfang 2023 den Konzern unter die Kontrolle eines Sonderverwalters. In der Folge wurde auch der vorzeitige Abzug von Geldern aus den Lebensversicherungspolicen komplett unterbunden.

Zudem forderte die Ivass den Eurovita-Eigentümer Cinven, ein britischer Private-Equity-Fonds, auf, das Eigenkapital um 250 Millionen Euro aufzustocken, da es unter die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestwerte für die Solvabilität zu fallen drohte. Doch Cinven schoss lediglich 100 Millionen Euro zu – und fand auch keinen Käufer für das angeschlagene Unternehmen.

In Italien gibt es kein Protektor-Modell wie in Deutschland

Die finanzielle Schieflage des Lebensversicherers hat in Italien zu heftigen Diskussionen zwischen Behörden und Finanzunternehmen über einen Rettungsplan geführt. Denn Italien verfügt über keine gesetzlich verankerte Auffanggesellschaft – anders als Deutschland mit Protektor. Hierzulande wurde diese Gesellschaft nach der Pleite der Mannheimer Leben im Jahr 2003 eingerichtet. Doch zurück: Ein Vorschlag, der in Italien aktuell als Lösung diskutiert wird, sieht die Aufteilung der Vermögenswerte von Eurovita unter führenden Versicherern, darunter Generali, UnipolSAI, Intesa Sanpaolo, Allianz und Poste Italiane, vor.

Das Beispiel Eurovita führt die Brisanz der stillen Lasten in der europäischen Lebensversicherungsbranche besonders deutlich vor Augen – insbesondere in Italien und Deutschland. In diesen beiden Ländern sind die stillen Lasten der Lebensversicherer europaweit am höchsten. Metzler Ratings hatte deshalb bereits im April dieses Jahres eine Kurzstudie zu dem brisanten Thema veröffentlicht: „Deutsche Lebensversicherer: Die wundersame Wandlung – wie aus stillen Reserven plötzlich Stille Lasten wurden“. Wesentliche Erkenntnisse aus dieser Studie: Noch Ende 2021 bestanden in Deutschland branchenweit stille Reserven von 155 Milliarden Euro.

Doch bedingt durch die Zinswende der Zentralbanken weltweit sank der Kurswert niedrig verzinster Anleihen, die während der vergangenen zehn Jahre erworben wurden, massiv. Aus stillen Reserven wurden laut Studie unterm Strich stille Lasten von rund 110 Milliarden Euro. Im Schnitt entspricht dies rund einem Zehntel des Bestands an Kapitalanlagen, die Versicherer für ihre Kunden halten. Und die bisher vorliegenden Jahresabschlüsse für 2022 bestätigen unser Studienergebnis.

Stille Lasten sehr unterschiedlich verteilt

Einige Versicherer wie WWK und Basler haben weniger als 5 Prozent stille Lasten in den Büchern. Andere Versicherer wie Alte Leipziger, Gothaer und Cosmos hingegen weisen in ihren Jahresabschlüssen für 2022 stille Lasten von mehr als 15 Prozent bis hin zu 20 Prozent aus (eine Übersicht zu den stillen Lasten deutscher Lebensversicherer finden Sie hier). Da die Zinsen 2023 weiter gestiegen sind und wohl noch weiter steigen werden, dürfte sich die Situation weiter verschärfen. Bis Ende 2023 könnten die stillen Lasten laut seiner Schätzung netto auf über 200 Milliarden Euro steigen. Dies entspräche dann im Schnitt rund 20 Prozent des Kapitalbestandes der deutschen Lebensversicherer. Kurzum: Die Lage ist ernst.

Auch einen deutschen Versicherer mit erhöhtem Storno kann dann jederzeit das gleiche Schicksal ereilen wie Eurovita. Zudem ist die Solvency-II-Kennzahl kein guter Indikator für die aktuelle Finanzsituation von Gesellschaften mit hohen stillen Lasten. Denn die Solvency-II-Quote bestätige selbst Unternehmen noch eine ausreichende Kapitalausstattung, die bilanzielle Probleme haben – etwa, wenn die stillen Lasten höher sind als das ausgewiesene HGB-Eigenkapital. 

Da wäre es besser, man würde den in der Praxis bewährten Stress-Test auf Basis der HGB-Zahlen wieder einführen. Nach meiner Einschätzung würden diesen Test aktuell 90 Prozent der deutschen Lebensversicherer nicht bestehen. 2002 – während der letzten großen Krise der Lebensversicherer – sind dagegen „nur“ rund ein Drittel der Versicherer bei diesem Test durchgefallen.

Seite 2: Die stillen Lasten einfach aussitzen? Warum diese Hoffnung trügerisch ist

kommentare
Stefan
Vor 1 Jahr

Wertvolle, brilliante Kommentierung, das Problem der erheblichen Akquise von Enmalbeiträgen wird für einige LVU (mit hohen Stornoquoten) nun offensichtlich. Der Zinsansieg ist zu rapide.

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Stefan
Vor 1 Jahr

Wertvolle, brilliante Kommentierung, das Problem der erheblichen Akquise von Enmalbeiträgen wird für einige LVU (mit hohen Stornoquoten) nun offensichtlich. Der Zinsansieg ist zu rapide.

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