Sven Schumann und Verena von Hugo, Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland © Thorsten Jansen/Marcus Becker
  • Von Oliver Lepold
  • 26.08.2022 um 11:37
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Welche Rolle spielt die Finanzbildung der Deutschen bezüglich der Altersvorsorge? Verena von Hugo und Sven Schumann vom Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB) über mangelnde Aktienkultur, die Aufgabe der Berater und die neue Aktienaffinität bei jungen Menschen.

Pfefferminzia: Die Deutschen gelten im internationalen Vergleich bei Vorsorge und Kapitalanlage als besonders risikoscheu und garantieversessen. Woran liegt das?

Sven Schumann: Aktienkultur in Deutschland ist im internationalen Vergleich unterentwickelt. Das hat auch mit mangelnder Finanzbildung zu tun. Die Vermittlung von Finanzbildung findet im deutschen Bildungssystem eher zufällig statt und muss letztlich in der Familie vermittelt werden. Wenn dort aber kein Finanzwissen vorhanden ist, kann auch keines weitergegeben werden. Schlimmer noch, wenn falsches Wissen, Annahmen, Stereotypen und Emotionen vermittelt werden.

Verena von Hugo: Allzu oft wird hierzulande bei der Aktienanlage nur das Risiko gesehen und nicht die Chance. Viele fürchten zudem die kurzfristigen Kursschwankungen an der Börse, die aber zu einer langfristigen Aktienanlage dazugehören. Wenn ich aber über das relevante Wissen verfüge, verliert das „Mysterium Börse“ seinen Schrecken. Dazu brauche ich ein Grundverständnis der Zusammenhänge und Funktionsweisen, und ich muss mir meiner Präferenzen bewusst sein. Das geht nur über Finanzbildung.

Ist ein Trend spürbar, dass sich das Sicherheitsdenken wandelt angesichts einer langanhaltenden Niedrigzinsphase und steigender Inflation, die viele klassische Sparformen unattraktiv macht?

von Hugo: Wir haben auf jeden Fall ein Momentum, das sehen wir auch im Trend zu mehr Aktionären, insbesondere bei jungen Leuten. Die Angebote sind niedrigschwelliger geworden. Die Erkenntnis, dass im aktuellen Zinsumfeld für den Vermögensaufbau notwendige Renditen fast nur noch am Kapitalmarkt möglich sind, reicht aber nicht aus. Wir brauchen auch das notwendige Wissen um ökonomische Zusammenhänge dazu.

Schumann: Das Negativzinsumfeld plus die gestiegene Inflation erzeugt Handlungsdruck, es wird mehr über Geld gesprochen, das Thema Vermögensbildung und Altersvorsorge findet plötzlich Zugang zu Stammtischen. Wir nehmen einen Multiplikator-Effekt wahr. Hier müssen wir ansetzen und weiterdenken, damit ein Bewusstsein entsteht und klar wird: Wer Vermögen aufbauen will, muss auch gewisse Mechanismen beherrschen.

Viele Beraterinnen und Berater leisten hier in Sachen Finanzbildung wertvolle Aufklärungsarbeit bei ihren Kundinnen und Kunden.

Schumann: Das ist sicher ein Stück weit dem Finanzbildungs-Vakuum im Bildungswesen geschuldet. Aber: Wollen wir das? Ich denke, es wäre besser, wenn Finanzbildung in der Schule stattfinden würde und Berater bereits auf einem gewissen Finanzbildungsniveau aufsetzen könnten. Es wäre eine Win-Win-Situation, wenn ein solcher „Bildungsauftrag“ nicht klammheimlich bei den Beratern abgeladen würde, sondern die Finanzbildung einen festen Platz in der Schule hätte.

Gelingt unabhängigen Beratern denn diese Wissensvermittlung trotzdem?

Schumann: Vielen gelingt das, aber man muss fragen: Ist es im Sinne der Gesellschaft, dass Personen, die ihren Broterwerb mit der Beratung und Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten verdienen, gleichzeitig einen Bildungsauftrag wahrnehmen? Das mag für viele aus der Branche etwas radikal klingen, aber als Vater stelle ich mir auch die Frage: Finde ich es gut, wenn der Schokoladenfabrikant meinen Kindern etwas über gute Ernährung erzählt? Das Beispiel hinkt etwas, aber es zeigt sehr gut, worum es geht. Auf Seiten der Berater gibt es eben auch ein wirtschaftliches Interesse.

von Hugo: Wer nichts weiß, muss alles glauben. Die letzten Wirtschafts- und Finanzkrisen haben unterstrichen, dass in diesem Nichtwissen eine große Gefahr steckt. Viele Menschen haben Finanzprodukte gekauft, die sie nicht verstanden haben. Um das in Zukunft zu vermeiden, ist grundlegende Wirtschafts- und Finanzbildung so wichtig und als ein ganz wichtiger Teil darunter auch die Wertebildung. Sie ermöglichen kritisches Hinterfragen und stärken die Mündigkeit. Sprich: Ich kaufe nichts, was ich nicht verstehe.

Die unter 30-Jährigen sind mit stetig sinkenden Zinsen und einem langanhaltenden Boom an den Aktienmärkten groß geworden. Sie gelten als aktienaffin und beschäftigen sich mit Robo-Beratern oder Trading-Apps. Ist das ein hoffnungsvoller Trend für mehr Finanzbildung?

Schumann: Viele Finanz-Apps senken die Zugangsbarriere zum Kapitalmarkt. Aber das Finanzwissen ist ja dadurch noch nicht gestiegen. So entsteht im Grunde ein noch steileres Gefälle. Wissen die neuen jungen Akteure auf dem Kapitalmarkt, worauf sie sich einlassen? Mir wäre wohler, wenn wir Akteure hätten, die ein Grundverständnis von dem hätten, was sie da tun. Es ist natürlich möglich, dass sie sich das erarbeiten, denn durch das Interesse und die ersten Erfahrungen kommt natürlich auch der Anreiz, sich mit dem Thema noch intensiver auseinanderzusetzen.

von Hugo: Dass zusätzlich zu der Erkenntnis, dass man mehr vorsorgen muss, nun auch das Tun kommt, ist zu begrüßen. Es braucht ein bewusstes Verhalten auf Basis von Wissen. Studien belegen, dass bei den Jugendlichen der Wunsch nach mehr Finanzbildung groß ist. Im BÖB haben wir viele Lehrerverbände, die sagen, wir müssen das den jungen Menschen an die Hand geben – das gehört zu einer modernen Allgemeinbildung. Doch das Bildungssystem ist so vielschichtig und komplex, dass es in Politik und Verwaltung noch viel zu tun gibt. Das BÖB macht die positiven Beispiele, die es in Deutschland erfreulicherweise gibt, bundesweit als Leuchttürme bekannt. Daran können sich andere Bundesländer orientieren und trotzdem noch ihre individuellen Strukturen einbringen.

Mehr zum Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland finden Sie hier. ( https://boeb.net/ )

Über die Gesprächspartner 

Verena von Hugo ist Vorstand der Flossbach von Storch Stiftung. Sven Schumann ist Senior Vice President Stakeholder Management & Berlin HUB bei der Gruppe Deutsche Börse. Gemeinsam sind sie Vorstandsvorsitzende im Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland e. V. (BÖB).

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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