Martin Stenger verantwortet bei der US-Fondsgesellschaft Franklin Templeton unter anderem das Geschäft mit Versicherern © Franklin Templeton
  • Von Redaktion
  • 09.08.2023 um 09:30
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Als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses Altersvorsorge beim BVI, arbeitete Martin Stenger in der Fokusgruppe Altersvorsorge mit, die vor einigen Wochen ihre Reformvorschläge fürs deutsche Vorsorgesystem unterbreitete. Er ist aber auch bei der US-Fondsgesellschaft Franklin Templeton unter anderem für das Geschäft mit Versicherern verantwortlich. In seinem Gastbeitrag erklärt er, warum Reformen überfällig sind und räumt mit einem alten Märchen auf.

Als Sozialminister Walter Riester im Jahr 2000 die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung auf den Weg gebracht hatte, lagen der Leitzins bei 4,5 Prozent und der Höchstrechnungszins der Lebensversicherung bei 4 Prozent. Seitdem wurde über 20 Jahre lang nichts mehr am Rentenkonzept geändert. Und das, obwohl die Zinsen seitdem auf eine beispiellose Talfahrt geschickt wurden.

Auch die aktuelle inflations-gegensteuernde Zinspolitik der Zentralbanken wird am Niedrigzinsszenario auf lange Sicht nichts ändern, das in Teilen auch mit der demographischen Grundstruktur begründet wird: Die Babyboomer gehen in Rente, das umlagefinanzierte System wird auch durch verstärkte Zuwanderung nicht aufrechterhalten werden können. Eine Alterung der Gesellschaft geht fast immer mit deflationären Tendenzen einher.

Abschaffung der Garantien

Das deutsche Rentensystem liegt am Boden: Nach Angaben der OECD beträgt das Deckungskapital von betrieblicher und privater Altersvorsorge nur 8 Prozent des deutschen Sozialprodukts und liegt damit weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Die Anzahl der Riester-Verträge ist seit 2018 sogar rückläufig. Vorsorgesparer haben aktuell nicht nur das Problem, dass ihre Ersparnisse zu geringe Zinserträge abwerfen, um im Alter den Lebensstandard zu halten: Es geht auch zu viel durch Kostenbelastung verloren, wie sie etwa durch die Renten- und die Beitragsgarantie erzeugt wird.

Die Abschaffung dieser beiden Garantien, die sich positiv auf die Rendite auswirken wird, kann daher als größte Leistung der Riester-Reform bezeichnet werden, wie sie durch den Abschlussbericht der Fokusgruppe Mitte Juli an das Kabinett übergeben worden ist. So heißt es in der Begründung der Fokusgruppe: „Gerade bei einem langem Vorsorgezeitraum bergen Garantien den Nachteil, dass sie Anbieter vorrangig zu einer sicherheitsorientierten Anlage verpflichten und dadurch geringere Renditechancen bieten“.

Unterschiedlichen Lebensverläufen besser Rechnung tragen

Künftig werden Vorsorgesparer vor Beginn der Auszahlungsphase innerhalb eines Spielraums flexibel über ihr Vorsorgevermögen entscheiden können. Das Langlebigkeitsrisiko soll dann nicht mehr über eine verpflichtende Leibrente, sondern etwa über die Möglichkeit von separaten Versicherungslösungen abgedeckt werden können. Dies liefert dem Verbraucher höhere Flexibilität, zum Beispiel bei der Finanzierung von Heilbehandlungsmethoden, dem Erwerb von Immobilien oder der Finanzierung von altersgerechten Umbaumaßnahmen. Den unterschiedlichen Lebensverläufen wird so künftig besser Rechnung getragen.

Wenn das Kabinett nach der Sommerpause dazu das Gesetz beschließen wird, haben wir hier nicht nur den größten Reformerfolg seit Riester zu verzeichnen, sondern erleben wahrscheinlich auch einen der bedeutendsten Erfolge für die mit positiven Nachrichten zuletzt nicht gerade gesegnete Ampelregierung.

Von Bismarck ist das Bonmot überliefert: „Wer weiß, wie Würste und Gesetze gemacht werden, kann nachts nicht schlafen.“ Fehlende Einblicke in eine Wurstfabrik mögen noch heute Schlafstörungen verursachen, das neue Gesetz zur Einführung von Fondsspardepots als Bestandteil der privaten Altersvorsorge wird dies ganz sicher nicht. Ein Blick in den Abschlussbericht räumt vor allem mit der Mär auf, Versicherungsgesetze würden von der Lobby der Versicherungswirtschaft gestrickt. Im Gegenteil: Die Vorstellungen des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) werden Versicherer dazu zwingen, den Allfinanzgedanken wieder in den Fokus zu rücken und über grundlegend neue Konzepte nachzudenken wie etwa die Einbeziehung von hochrentierlichen, aber illiquiden Alternativen Investments in Versicherungslösungen. Anlageformen etwa aus den boomenden Bereichen Energie und Infrastruktur, die bislang nur großen institutionellen Anlegern vorbehalten waren. Das Gesetz wird also auch dringend notwendige Reformen auf der Anlageseite befeuern und damit neuen Industrien den Weg ebnen.

Breiter Konsens in der Fokusgruppe

Zwar trägt der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) den Abschlussbericht zu großen Teilen mit. Dennoch kann man hier nicht von einer ausschließlichen Vollstreckung von BVI-Interessen sprechen, da sich der Konsens über viele Verbände und Parteien erstreckt, die an der Fokusgruppe mitgewirkt haben: Allen voran die drei Parteien der Ampelkoalition selbst, die mit ihren Staatssekretären aktiv mitgearbeitet haben. Sber auch Vertreter der Wissenschaft, zum Beispiel Prof. Dr. Tabea Bucher-Koenen von der Universität Mannheim und ZEW, Prof. Dr. Oskar Goecke von der TH Köln oder Prof. Dr. Marlene Haupt von der Hochschule Ravensburg-Weingarten, um nur einige zu nennen.

Auch Vertreter der Deutschen Bundesbank, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) arbeiteten in der Fokusgruppe mit. Die wissenschaftliche Fundierung ist notwendig, um technische Nachbesserungen im Nachgang möglichst gering zu halten. Schließlich soll das Gesetz dazu führen, dass sich die private Altersvorsorge eines Großteils der Deutschen spürbar verbessert.

Als Blaupause des dem Kabinett vorgestellten Fondssparplans kann dabei durchaus das als 401K bezeichnete kapitalgedeckte Altersvorsorgemodell in den USA gelten, das immerhin zwei Drittel der US-Haushalte in Anspruch nehmen und aktuell einen Betrag von 41 Billionen US-Dollar verwaltet. Bereits die Riester-Reform konnte vor mehr als 20 Jahren mit einer Abdeckung von heute 54 Prozent einen beachtlichen Durchdringungsgrad erzielen. Ein derartiges Erfolgskonzept wie das 401K-Depot in den USA kann nun als sehr gute Blaupause für Deutschland dienen und lässt einen optimistischen Ausblick für die heimische Altersvorsorge zu. Vor allem erlaubt es endlich eine bessere Vorsorge auch für mittlere und untere Einkommen.

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