- Von Karen Schmidt
- 29.06.2023 um 10:07
Pfefferminzia: Frau Nadolny, wer Ihnen etwa auf Linkedin folgt, weiß: Sie lesen viel, sehr viel. Und zwar vor allem Sachbücher – über 700 an der Zahl bisher. In wie vielen Büchern haben Sie etwas über den Gender Pension Gap entdeckt?
Celine Nadolny: Aus dem Bauch heraus würde ich behaupten in maximal 20 Werken. Das waren dann aber auch explizit Finanzbücher für Frauen, die damit nochmals die Dringlichkeit unterstreichen wollten, dass wir aktiv werden müssen, um im Alter nicht vor höheren Hürden zu stehen als wir aus eigener Kraft bewältigen könnten. Ich würde behaupten, in weit über 90 Prozent der Finanzbücher männlicher Autoren kommt nichts in dieser Richtung vor und wird nur allgemein über das Risiko der Altersarmut gesprochen.
„Das Bild von der Versorgungsehe ist immer noch in den Köpfen“
„Der Gender Pension Gap ist vielen nicht wirklich präsent”
„Echte Fürsorge beginnt mit einer gesunden Selbstfürsorge“
Sind die Finanzbücher, die Sie gelesen haben, für Menschen mit wenig Finanzaffinität zugänglich und verständlich?
Nadolny: Typische Akademiker-Antwort – es kommt darauf an. Finanzbuch ist nicht gleich Finanzbuch – und jedes hat selbstverständlich seine ganz eigene Zielgruppe. Demnach gibt es eine ganze Reihe von Finanzbüchern, die sich ideal für Einsteiger eignen. Manche können selbst von Kindern oder Jugendlichen ohne Probleme verstanden und umgesetzt werden und wieder andere sollte man besser nicht als erstes Werk in die Hand nehmen, um der Thematik nicht abgeschreckt für Jahrzehnte den Rücken zu kehren.
Verständliche Finanzbücher gibt es aber bereits seit Jahrzehnten und es kommen jedes Jahr unzählige dazu. Selbst Menschen mit fehlender Finanzaffinität wird ein gutes Finanzbuch sicherlich recht schnell zu verstehen geben, dass wir uns alle irgendwann mit unseren Finanzen beschäftigen müssen, ob wir wollen oder nicht. Je länger wir es aufschieben, desto unschöner kommt es auf uns zurück.
Mit TikTok und „Snackable Content“ drohen Bücherwurm und Leseratte zu verschwinden. Müssen Finanzthemen nun in 90-Sekunden-Videos passen?
Nadolny: Es kommt schlichtweg darauf an, wen man mit dem Content erreichen möchte. Die allermeisten Sachverhalte kann man einfach nicht in 90 Sekunden wiedergeben, aber man kann sie definitiv in Portionen zerteilen, die dann wiederum in 90 Sekunden passen würden. Ich persönlich bin da aber sicherlich auch die falsche Zielgruppe, denn diese ganze gesellschaftliche Strömung der Zusammenfassungen, Vereinfachungen und so weiter ist nicht meine Welt. Ein wirklich gutes Buch wurde nicht dafür geschrieben, um in 90 Sekunden oder auf wenigen Seiten in Form von Kernaussagen wiedergegeben zu werden.
Jede Komprimierung hinterlässt Sägespäne, dessen sollten wir uns bewusst sein. Nun stellen sich für mich darauf zwei Fragen: Wer hat entschieden, was zurückgelassen wurde und warum? Und war nicht vielleicht genau der Teil, der nun fehlt, enorm wichtig? Ich habe schon unzählige Male erlebt, dass es vor allem die Geschichten drumherum waren, die in guten Büchern die Inhalte verständlicher gemacht haben.
Wie müsste Finanzbildung in Deutschland angeboten werden, damit jeder sie versteht?
Nadolny: Zunächst einmal müsste Finanzbildung unabhängig angeboten werden. Das betone ich an erster Stelle so deutlich, weil es heute bereits an unzähligen Stellen faktisch nicht der Fall ist, und das empfinde ich als beunruhigend. Wenn Finanzdienstleister kostenlose Steuerseminare geben, Bank- und Versicherungsvertreter in Schulen Vorträge halten und Strukturvertriebe ganze Lehrstühle und Projektwochen finanziell fördern, dann hat das sicherlich nichts mit Unabhängigkeit zu tun.
Darüber hinaus gilt es noch ein zweites Kriterium direkt zu Beginn zu erfüllen: Finanzbildung braucht ein wissenschaftliches Fundament! Wenn ich mich so umschaue, würde allein das knapp 80 Prozent des Finanzcontents in den sozialen Medien ausknipsen. Fast jeder Finanzkanal, fast jeder Podcast, jedes Magazin und jeder Youtube-Kanal beruht auf einem für mich grundlegend falschen Ansatz: Es gibt kein richtig oder falsch, wir möchten alle Ansätze hören.
Das mag auf viele Lebensbereiche sicherlich zutreffen, aber in weiten Teilen nicht auf die Finanzwelt. Es ist absolut verrückt, gar absurd, wie selbst vermeintliche Leitmedien wissenschaftliche Erkenntnisse mit Füßen treten und stattdessen Meinungen, persönliche Präferenzen und Emotionen in den Vordergrund rücken. Dabei wissen wir aus der Wissenschaft ziemlich deutlich, dass Emotionen am Kapitalmarkt nichts zu suchen haben und mitunter zu grauenhaften Ergebnissen führen können.
Wenn diese beiden Kriterien erfüllt sind, dann gilt es Finanzen am besten schon für die Kleinsten unter uns greifbar zu machen. Mein Traum wäre es, wenn selbst im Kindergarten schon spielerisch der Umgang mit Geld vermittelt würde, in der Grundschule das Fundament unseres Wirtschaftens verinnerlicht und in den weiterführenden Schulen daraus eine solide Finanzbildung reifen könnte, die unsere Kinder davor schützt, zum Opfer der Finanzindustrie zu werden.
Denn das ist leider die Konsequenz, wenn wir dem Nachwuchs nicht vermitteln, wie man sein Geld anlegen kann, welche Versicherungen relevant sind und wovon man lieber die Finger lassen sollte.
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