- Von Karen Schmidt
- 23.06.2023 um 13:57
Pfefferminzia: Wie wichtig sind Innovationen für Versicherer in dieser sich stetig verändernden Welt?
Stefan Lohmöller: „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ besagt ein über 2.000 Jahre altes treffendes Zitat. Gerade in den bewegten vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass sich traditionelle Geschäftsmodelle nicht nur in der Versicherungsbranche einer neuen Welt anpassen müssen. Neben exogenen politischen und gesundheitlichen Herausforderungen und deren spürbaren Konsequenzen haben nicht zuletzt die rasante Digitalisierung, internationale Software-Konzerne und experimentierfreudige Insurtechs die Branche bewegt.
Häufig konnte man von einer drohenden Disruption der gesamten Versicherungsbranche lesen. So weit möchte ich nicht gehen, ich sehe es vielmehr als Chance und Pflicht unserer Branche, sich stärker auf die großteils von anderen Branchen geprägten Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse zu konzentrieren. Kunden wollen bedarfsgerechte Lösungen, sie denken nicht in althergebrachten Sparten oder Produktlinien. Produkte und Services müssen daher stärker kundenorientiert entwickelt und auch digital ergänzt werden wie etwa Smart Health. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen, wenn wir auch langfristig gegenüber neuen Playern wie Amazon, Tesla oder Insurtechs Erfolg haben möchten.
Nicht nur in der Assekuranz entstehen somit in hohem Tempo neue oder zumindest modifizierte Geschäftsmodelle, deren Entwicklung wir auch gemeinsam mit dem Insurtech Hub Munich, kurz ITHM, beobachten. Somit ist Veränderungsbereitschaft auch für Versicherer eine notwendige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit – ständige Lernbereitschaft und professionelles Innovationsmanagement stellen insofern Prioritäten dar.
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Wo entstehen Innovationen in der Assekuranz?
Lohmöller: Innovationen können radikal oder inkrementell sein. Sie entstehen unter anderem durch veränderte Kundenbedürfnisse (sowohl B2C als auch B2B), durch technologischen Fortschritt (zum Beispiel Einsatz von KI), durch intrinsisch motivierte Mitarbeitende und durch Kooperationen etwa mit Universitäten, anderen Branchen oder Start-ups. Dadurch wird die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktentwicklung über den Vertrieb bis zur Schadenabwicklung auf den Prüfstand gestellt oder sogar radikal verändert. Insofern hilft der Blick über den Tellerrand sowie die konstruktive Zusammenarbeit mit Insurtechs, die wir als Münchener Verein im Regelfall weniger als disruptive Bedrohung als vielmehr als wertvollen Impulsgeber oder auch langfristigen Partner wie auch den ITHM sehen.
Wie erlebt der ITHM die Zusammenarbeit mit Insurtechs – auch vor dem Hintergrund, dass der Hype der ersten Jahre um Insurtechs inzwischen nachgelassen hat?
Johannes Wagner: Beim Insurtech Hub Munich sehen wir, dass die Zeiten lange vorbei sind, als das Verhältnis zwischen Versicherern und Start-ups eher von gegenseitigem Misstrauen und Konkurrenzgedanken geprägt war. Start-ups helfen uns Versicherern, neue Technologien in verschiedene Bereiche der Wertschöpfungskette zu integrieren oder neue Ideen für Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Sie schaffen aber auch Zugänge zu Zielgruppen, mit denen sich Versicherer manchmal eher schwertun. Aktuell konzentrieren wir uns beim Insurtech Hub Munich unter anderem auf Start-ups, die dem Versicherungsvertrieb helfen, die Generation Z zu erreichen.
Wir sind davon überzeugt, dass es nicht ausreicht, den Unternehmen die Start-ups einfach nur weiterzureichen. Wir haben gelernt, dass es für den Erfolg gut strukturierte Prozesse braucht. Dazu identifizieren wir die dringlichsten Innovationsfelder aus unserer Community von über 30 Versicherern und Tech-Partnern und bauen darauf themenspezifische Innovationsprogramme auf – zuletzt etwa zu digitalen Gesundheitslösungen oder zur Zukunft des Vertriebs. Auf diese Programme bewerben sich jährlich aus einem globalen Einzug rund 500 Start-ups. Pro Programm werden rund 20 Start-ups aufgenommen – nach einem harten Auswahlprozess, in dem es etwa um die Passgenauigkeit für das Thema geht, den Reife- und Innovationsgrad der Technologie und die Teamzusammensetzung. Die Start-ups machen wir im Programm fit für die Zusammenarbeit mit den Versicherern, begleiten die ersten Treffen zwischen den Parteien, um das Risiko von Missverständnissen zu reduzieren, und fassen nach. Damit haben wir großen Erfolg. Insgesamt hat der Insurtech Hub Munich rund 180 Kollaborationen in den vergangenen fünf Jahren ermöglicht.
Welche Motivation hatte der Münchener Verein, sich damals dem ITHM anzuschließen?
Lohmöller: Bereits im Jahr 2017 haben zwölf Versicherer aus Bayern in einer gemeinsamen Initiative den Insurtech Hub Munich gegründet. Ein Gründungsmitglied war auch der Münchener Verein, der den gegenseitigen Nutzen früh erkannt hat. Ziel des ITHM ist es, die digitale Transformation im Versicherungsbereich voranzutreiben und die bayerische Landeshauptstadt zu einem attraktiven Standort für die besten internationalen Start-ups zu machen. Unsere Erwartungen haben sich erfüllt, denn durch die Mitgliedschaft haben wir einen guten Zugang zu Start-ups und dem inzwischen großen ITHM-Netzwerk erhalten. Ein Vorteil ist, dass Start-ups durch die Attraktivität des ITHM und des Standorts München angezogen werden, von Experten vorgeprüft werden und wir als relativ kleiner Versicherer einen guten internationalen Marktüberblick erhalten. Insgesamt können wir durch die Impulse aus unserer aktiven ITHM-Mitgliedschaft unsere Digitalisierungsgeschwindigkeit sowie Innovationsfreude deutlich erhöhen und Mitarbeitende für den Blick über den Tellerrand begeistern.
Inwiefern gibt es bereits Mehrwerte für Versicherer durch Kooperationen mit Start-ups und was erwarten Sie hier in den nächsten Jahren?
Wagner: Die Kollaborationen zwischen Start-ups und Versicherern schaffen vielfältige Mehrwerte. Neue Technologien helfen, neue Kundengruppen zu erreichen, bessere Produkte auf Basis besserer Kundendaten zu entwickeln oder die Kundenzufriedenheit durch smarte Lösung in der Kundenkommunikation zu steigern – nur um ein paar Beispiele zu nennen. Daneben ist aber auch der Innovations- und Digitalisierungsdruck für die Branche hoch und verstetigt. Das erfordert mehr Geschwindigkeit in der Transformation verschiedenster Prozesse. Wir sehen auch künftig bei Versicherern einen riesigen Bedarf an integrierbaren Lösungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz, aktuell vor allem natürlich zu Large Language Models. Veränderte Kundenbedürfnisse werden die Nachfrage nach hybriden Beratungs-Tools im Vertrieb weiter erhöhen. Und Nachhaltigkeitsthemen werden in den verschiedensten Dimensionen durchgespielt werden müssen. Bei alldem werden uns gut ausgewählte und vom Insurtech Hub Munich dezidiert auf die Branche vorbereitete Start-ups helfen.
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