- Von Andreas Harms
- 06.05.2022 um 11:01
Vor wenigen Wochen legten Jochen Ruß, Alexander Kling und Andreas Seyboth vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften eine Studie mit dem Titel „Thesen zur Zukunft der Altersvorsorge in Deutschland“ vor (mehr zum Inhalt lesen Sie hier). Wir baten Jochen Ruß zum Gespräch und fragten, wie Berlin das Rentensystem überhaupt noch retten kann.
Pfefferminzia: Herr Ruß, warum landet unser Rentensystem in der Grütze?
Jochen Ruß: Ob es in der Grütze landet, wie Sie es nennen, hängt davon ab, wie wir mit den anstehenden Herausforderungen umgehen, die aber in der Tat sehr groß sind. Die demografische Entwicklung sorgt nämlich dafür, dass sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen alten und jungen Leuten verschiebt. Heute müssen 100 Erwerbstätige 31 Rentner finanzieren. Ende der Dreißigerjahre werden es schon zwischen 44 und 49 sein. Danach wird das Problem zwar langsamer wachsen, es wird aber wahrscheinlich nicht kleiner.
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Warum man Garantien in der Altersvorsorge nicht braucht
Was sollte die Regierung nun tun?
Dafür müssen wir zwischen zwei Problemen unterscheiden. Eines ist das, was in den Dreißigern mit voller Wucht auf uns zukommt. Das andere ist die langfristige Stabilisierung danach.
Steuerzuschüsse irgendwann im Billionenbereich
Dann bitte zuerst mit voller Wucht.
Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir an möglichst vielen Stellschrauben gleichzeitig drehen. Arbeiten wir ausschließlich mit Steuerzuschüssen, würden wir rein theoretisch irgendwann im Billionenbereich ankommen. Schieben wir nur das Rentenalter nach hinten, müssten die Menschen bis 77 arbeiten. So etwas geht natürlich nicht, weshalb schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass man an vielen Stellen ansetzen muss.
Danach sieht es aber zurzeit nicht aus.
Tatsächlich sieht der Koalitionsvertrag vor, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken, der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen und das Eintrittsalter nicht erhöht werden soll. Es ist völlig klar, dass das nicht funktionieren wird. Wenn wir drei wichtige Stellschrauben für tabu erklären, können wir das System bald nicht mehr finanzieren. Das Rentenniveau muss sinken, und Beitrag und Eintrittsalter müssen steigen. Damit das möglichst moderat ausfällt, muss auch Kapitaldeckung eine wichtigere Rolle spielen, aber dieser Aspekt hat zahlreiche Facetten, die man unterscheiden muss.
Tolle Aussichten. Gibt es eigentlich noch irgendeine Chance, dass sich das demografische Problem doch noch löst?
Nein. Außer, es passiert etwas ganz Radikales. Die Demografie ist schon angelegt. Die 40- oder 50-jährigen Beitragszahler, die uns in 30 Jahren fehlen, sind ja schon vor 10 oder 20 Jahren nicht geboren worden. Das kriegt man übrigens auch mit Zuwanderung nicht gedreht.
Seite 2: „Umlage und Kapitaldeckung unterliegen komplett unterschiedlichen Risiken“
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