Finanzwissenschaftler Jochen Ruß: „An möglichst vielen Stellschrauben gleichzeitig drehen“ © Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften
  • Von Andreas Harms
  • 06.05.2022 um 11:01
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Im Gespräch erklärt Jochen Ruß vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften, was die Ampelkoalition gerade bei der Altersvorsorge falsch macht, was er von Aktien in der Rente hält und warum die Riester-Rente doch gar nicht so schlecht ist.

Nun zu den langfristigen Maßnahmen.

Da hilft innerhalb der gesetzlichen Rente eine kapitalgedeckte Mitfinanzierung. Das sind diese berühmten 10 Milliarden Euro, die im Koalitionsvertrag stehen, aber leider im aktuellen Haushalt nicht mehr auftauchen. Ich hoffe, dass man das wieder ändert und rasch weiter ausbaut. Es geht bei dem Konzept übrigens gerade nicht darum, neue Produkte einzuführen, sondern darum, die bereits versprochenen gesetzlichen Renten nicht nur aus zukünftigen Beiträgen, sondern auch aus einem Kapitalstock zu bezahlen.

Was ist daran so toll?

Ich finde das schon aus Gründen der Risikostreuung gut. Umlage und Kapitaldeckung unterliegen komplett unterschiedlichen Risiken. Die Umlage ist anfällig gegenüber Demografie und Konjunktur, aber weitgehend immun gegen Kapitalmarktrisiken. Bei der Kapitaldeckung ist es genau umgekehrt. Deshalb sollte man beides in der gesetzlichen Rente mischen.

Wenn der Staat plötzlich Fondsmanager spielt …

Und zusätzlich ein aktienbasiertes Produkt vom Staat anbieten?

Ruß Jetzt kommen wir zu den vielen Facetten der Kapitaldeckung. Bei investmentfondsartigen Produkten sehe ich eine Mitwirkung des Staats deutlich kritischer. Ich frage mich ernsthaft, ob der Staat hier wirklich eigene Produkte anbieten sollte.

Fondsmanager im Finanzministerium sind merkwürdig?

Sie haben recht. Wenn der Staat plötzlich Fondsmanager spielt, wird das Risiken und Nebenwirkungen haben. Bei dem oben beschriebenen Kapitalstock in der gesetzlichen Rente geht es nicht anders. Aber aktienbasierte Maßnahmen außerhalb der gesetzlichen Rente sollten privatwirtschaftlich laufen, um diese Risiken und Nebenwirkungen zu vermeiden. Aber ich finde noch eine zweite Sache wichtig.

Ich höre.

Zeit. Kapitaldeckung braucht Zeit. Wenn wir bei null mit einem neuen System anfangen, wird es sehr lange dauern, bis das was bringt.

Leider müssen wir das aber.

Eben nicht. Wir haben ein System, in das Millionen von Menschen schon seit 20 Jahren einzahlen.

„Aktien schützen vor Inflation“

Falls Sie die Riester-Rente meinen, die ist doch verunglückt.

Aber wir fangen dann nicht bei null an. Deshalb bin ich dafür, dass wir die Riester-Rente reformieren, damit sie zukunftsfähig ist. Das geht mit einfachen Mitteln.

Wie stellen Sie sich das vor?

Als allererstes muss die 100-prozentige Beitragsgarantie weg. Als die Riester-Rente eingeführt wurde, lagen die Zinsen noch so hoch, dass rentable Produkte mit Beitragsgarantie möglich waren. Beim heutigen Zinsniveau geht das nicht mehr, weil die Rendite zu stark gebremst würde. Außerdem bringen zu hohe Garantien gar keine Sicherheit.

Wie bitte?

Wenn ich auf die Kaufkraft schaue, die ja für die Sparer relevant ist, zeigt sich ein interessanter Effekt. Ein gewisses Maß an Aktien schützt nämlich vor Inflation, denn langfristig laufen beide ähnlich. Wenn ich mit der Garantie höher als 70 oder 80 Prozent gehe, sinkt zwar das Risiko aus den wackelnden Aktienkursen. Dafür steigt das Inflationsrisiko, und das Produkt kann für den Anleger unterm Strich riskanter werden.

Seite 3: „Trotz Warnungen viel zu spät reagiert“

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Andreas

Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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