- Von Lorenz Klein
- 10.10.2022 um 10:51
Pfefferminzia: Normen sollen dazu beitragen, die Finanzberatung von Gewerbetreibenden und Privatpersonen professioneller zu gestalten. Sie strukturieren die Beratungsgespräche und decken Lücken auf, was wiederum den Beratungserfolg erhöhen kann. In der Theorie klingt das einleuchtend – heißt aber noch lange nicht, dass Makler derartige Normen auch einsetzen. Woran liegt das?
Klaus Möller: DIN-Normen in der Finanzbranche in die breite Umsetzung zu bringen, ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Die Branche ist nicht gerade normungsaffin, weil sie – zumindest partiell – immer noch von einem fehlgeleiteten Individualitätsverständnis getrieben wird: Für viele Branchenteilnehmer meint Individualität ihre Selbstverwirklichung und nicht das unverfälschte Aufdecken der Kundenindividualität. Letzteres gewährleisten allerdings die Analysenormen für Privat- und Geschäftskunden.
Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen – DIN-Entwurf veröffentlicht
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Ein weiteres Problem ist, dass nicht wenige Vermittler aus Gründen der Einfachheit den Produktverkauf der ganzheitlichen Analyse und Beratung vorziehen. Für die wäre der Einsatz der Norm mehr als ein Paradigmenwechsel. Die wachsende Nachfrage nach normkonformen Applikationen und nach Zertifizierungen auf Normumsetzung bestärken uns in der Überzeugung, dass die Normen sich durchsetzen werden.
Nach eigenen Angaben stärkt die von Defino zertifizierte Umsetzung der DIN 77230 „durch nachvollziehbare Empfehlungen die Glaubwürdigkeit und Reputation beim Kunden, verringert die Stornoquote und bietet ein Mehr an Haftungssicherheit.“ Auf welche Erkenntnisse stützen Sie sich hierzu?
Fakt ist, dass normkonforme Finanz- und Risikoanalysen im Gegensatz zu verbands- oder unternehmensinternen Konzepten frei sind von jedem Verdacht, interessengesteuert zu sein. Das stiftet Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Kunden, öffnet sie und macht es ihnen leicht, ihre Berater mit allen relevanten Informationen, auch Fremdverträgen, auszustatten. Das wiederum erleichtert den Beratern das Cross-Selling und die Erhöhung ihrer Vertragsdichte. Bei Vertrieben, die die DIN 77230 systematisch umsetzen, liegt diese bei rund 15 Verträgen pro Familienkunde. Es ist nachvollziehbar, dass eine hohe Vertragsdichte der beste Garant für eine niedrige Stornoquote ist.
Das Mehr an Haftungssicherheit ergibt sich aus dem Charakter von DIN-Normen. Wer eine Norm umsetzt, dem kann kein Fehler vorgeworfen werden. Im Falle einer juristischen Auseinandersetzung führt der Einsatz einer DIN-Norm regelmäßig zur Beweislast-Umkehr.
Ende August wurde der „ESG-Profiler“ in einer Pressemitteilung angekündigt. Das Tool verspricht eine „einfache und haftungssichere ESG-Abfrage nach Norm mit anschließender Auswahl passender Produkte“. Wie gehen Sie damit um, dass auf politischer Ebene noch viele Details dahingehend zu klären sind, wie sich ein nachhaltiges Versicherungsanlageprodukt definiert?
In der Tat ist die Regulatorik noch unfertig; und dennoch müssen Berater ihre Kunden seit dem 2. August zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. Diesbezüglich füllt die Norm die Lücke, die die Regulatorik gelassen hat. Normen können nicht nur vorhandene Gesetze präzisieren und operationalisierbar machen, sondern ihnen auch vorausgehen, wo Regulatorik nicht vorgesehen oder noch unvollendet ist. Worauf sonst sollten sich Berater angesichts der regulatorischen Defizite bei der Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen haftungssicher berufen können, wenn nicht auf die DIN-Norm? Wenn die Gesetzeslage sich mit der Zeit präzisiert, muss die Norm gegebenenfalls entsprechend angepasst werden.
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