- Von Manila Klafack
- 17.05.2021 um 11:21
Pfefferminzia: Wenn wir heute auf den Versicherungsmarkt zurückblicken, wie hat er sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?
Raphael Servos: Der befürchtete disruptive Einfluss durch die Start-up-, speziell Insurtech-Szene, fand nicht statt. Allerdings gab es durchaus ein Umdenken und dadurch ausgelöst eine deutliche Beschleunigung der evolutionären Entwicklung in der Versicherungsbranche. Hier seien beispielhaft der Sprung von analogen Unterschriften hin zu E-Signatures genannt oder auch die Nutzung von Tablets im operativen Tagesgeschäft. Die Erwartungshaltung an neue wilde Insurtechs wird dennoch kaum erfüllt.
Die jungen Wilden sind u.a. von der Trägheit der Branche sowie der digitalen Infrastruktur und der Notwendigkeit, diese aufzubauen, ausgebremst worden. Klassische Versicherer hingegen haben die Situation schnell erkannt und angefangen, in digitale Projekte zu investieren. Leuchttürme wurden gestartet, Leuchttürme wurden begraben. Dabei wurden Erfahrungen gesammelt und Fortschritte gemacht. Außerdem sind Partnerschaften zwischen den digitalen Attakern und den klassischen Playern entstanden. Die Revolution blieb jedoch aus.
Das Corona-Virus und der Digitalisierungsschub
Auch beim Online-Abschluss bleiben Vermittler gefragt
Spannende Themen wie Konto-Crawling haben bislang kaum Beachtung erfahren. Künstliche Intelligenz (KI) und Deep Learning sucht man aktuell ebenfalls meist vergeblich. Was sich deutlich entwickelt hat, sind die Versicherungsprodukte. Ich meine hier insbesondere die digitale Erreichbarkeit der Produkte, die Vereinfachung und der sichere Umgang mit Angebot und Antrag.
Das Pandemiejahr 2020 gab einen zusätzlichen Schub in Sachen Digitalisierung. Wo waren Ihrer Meinung nach die größten Veränderungen bei den Versicherern und Beratern, die vielleicht ohne Corona nicht geschehen wären?
Wir alle waren von heute auf morgen gezwungen, irgendwie remote arbeitsfähig zu sein. Einige kommen damit besser zurecht, andere schlechter. Insgesamt hat es die heute notwendige, berufliche Agilität dauerhaft gefördert. Viele Unternehmen, die dem Homeoffice eher skeptisch gegenüber standen, durften feststellen, dass sich die Welt doch weiter dreht, auch wenn nicht jeder Mitarbeiter an jedem Arbeitstag ins Büro kommt.
Der größte Treiber war, neben Absatztrends wie bei einigen Nischenprodukten, die Optimierung von internen Prozessen und Arbeitsumgebungen. Manche unserer Kunden arbeiten mittlerweile zwischen 85 bis 100 Prozent erfolgreich oder erfolgreicher im Remotebetrieb. Diese enorme Zahl wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar erschienen. Zwar hätten sich diese Lösungen bereits seit Jahren abzeichnen sollen, jedoch springt ein gutes Pferd nur so hoch wie es muss. Von daher wurde uns bei DBRS, was Prozesse und digitale Tools anbelangt, durch die Notwendigkeit, komplett ins Homeoffice zu wechseln, ein großer Gefallen getan.
Pfefferminzia: Und seitens der Kunden?
Dort bemerken wir, dass die Arbeit im Homeoffice und der Wegfall von Freizeitaktivitäten dazu geführt hat, dass sich die Menschen über alle Kommunikationskanäle mehr mit ihrer Absicherung beschäftigen. Ein sehr zu begrüßender Trend, wie wir finden.
Ebenso wie die Unternehmen und Vermittler sind auch die Kunden sehr unterschiedlich von Corona betroffen. Abhängig von dem beruflichen und privaten Umfeld werden auch hier einige deutlich besser mit der Situation zurechtkommen als viele andere. Klar ist jedoch, dass sich auch die Kunden der fortschreitenden Digitalisierung stellen müssen – Papierformulare werden in allen Branchen weniger.
Wie kann ein Makler heute mit all den digitalen Möglichkeiten seine Kunden am besten an sich binden?
Der Vermittler als zentrales Bindeglied zwischen Kunde und Anbieter hat in dieser Dekade ein schweres Los. Bisher wurde von ihm Transparenz, Fachwissen und ein gewisser Fundus von Versicherungslösungen erwartet. Heute ist der Vermittler zusätzlich: Kommunikationsstratege, Online-Marketing-Experte, Softwareentwickler, Homepagebetreiber und vieles mehr. Gleichwohl hängen manche Kollegen, was ihre Prozesse und Tools anbelangt, der Zeit hinterher.
Nun rächen sich die Hängeregisterordner als Medium der Datenaufbewahrung. Zudem betreten neue Insurtechs, deren Prozesse ausnahmslos digital verfügbar und auf den Direktvertrieb ausgelegt sind, den Markt oder bauen ihre Position aus. Die Erwartung der Kunden an digitale Services lässt dem Vermittler keine andere Wahl, eigene digitale Services anzubieten. Für den Vermittler und seine Dienstleistung ist das gleichzeitig die Chance, sich klar zu definieren und selbst als Marke zu positionieren. Tools und Lösungen dafür stehen zur Verfügung: Hier gilt es, die richtigen Tools zusammenzustellen.
Immer wieder taucht in dem Zusammenhang der Begriff „adaptive Assistenzsysteme“ auf. Was genau ist damit gemeint?
Adaptive Assistenzsysteme sind ein komplexes System, das aus zumindest drei Kernkomponenten besteht. Das sind die Kundenverwaltung (Customer Relationship Management, CRM), die Versicherungsvergleichsrechner sowie die sogenannten Kunden-Touchpoints, Web und App. Diese werden in einer Prozessautomation zusammengeführt. Dabei funktionieren diese Systeme untereinander in Echtzeit und nehmen dem Vermittler viele administrative Aufgaben ab. Entweder komplett oder wenigstens teilautomatisiert.
Sie entwickeln sich permanent weiter und unterstützen den Vermittler nicht nur bei der Verwaltung und Kundengewinnung, sondern insbesondere bei der Kundenbindung. Das ist besonders entscheidend, denn letzteres verändert sich zunehmend. Ausgeklügelte Assistenzsysteme gewinnen immer mehr an Bedeutung bei der Kundenbindung und besitzen das Potenzial, den Menschen als stärkstes Bindeglied zu ersetzen. Für den Makler sind es Werkzeuge, die – wenn richtig eingesetzt – die Kundenbindung an den Makler selbst fördern und festigen. Die Kunden selbst werden vom Markt weiterhin mit neuen digitalen Services verwöhnt und bauen eine entsprechende Erwartungshaltung auf.
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