Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 09.02.2021 um 12:43
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Bei einem Kind wird eine Entwicklungsstörung festgestellt, die die Kriterien eines Pflegefalls erfüllt. Die Eltern wollen daraufhin Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung, die sie für das Kind abgeschlossen haben. Der Versicherer verweigert die Zahlung und wirft den Eltern arglistige Täuschung vor. Wer hat Recht? Das musste das OLG Celle entscheiden. Über das Urteil berichtet Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Erfolglose Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Das Gericht stellte zunächst fest, dass der Versicherungsvertrag nicht durch Anfechtung des Versicherers gemäß der Paragrafen 22 VVG, 123, 142 f. BGB rückwirkend unwirksam geworden sei. Es fehle bereits an dem objektiven Tatbestand einer Täuschung. Der Kläger habe nämlich die in dem Antragsformular gestellten Gesundheitsfragen nicht falsch beantwortet. Der Versicherungsnehmer habe keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten dadurch verletzt, dass er die Entwicklungsverzögerung nicht von sich aus, also ohne eine entsprechende Frage des Versicherers, mitgeteilt hat.

Es sei nach Auffassung des Gerichts umstritten, ob unter Geltung des novellierten VVG eine arglistige Täuschung im Sinne des Paragrafen 123 Absatz 1 BGB auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen kann, nach denen der Versicherer bei Antragstellung gar nicht gefragt hat. Nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts könne das bloße Verschweigen nur dann den Vorwurf einer Täuschung rechtfertigen, wenn eine Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers bestand, so das OLG Celle.

Zweifelhaft sei demnach, ob die Annahme einer weiter gehenden Anzeigepflicht für ungefragte Umstände bestehe, da nach Paragraf 19 Absatz 1 Satz 1 VVG nur noch eine vorvertragliche Anzeigepflicht hinsichtlich solcher gefahrerheblichen Umstände bestehe, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. In Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Reglung müsste sich diese weitergehende Anzeigepflicht aus Treu und Glauben (Paragraf 242 BGB) ergeben:

Leistung nach Treu und Glauben: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Welche Ansichten werden vertreten?

In der Literatur werde überwiegend angenommen, dass weiterhin eine vorvertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers in Bezug auf Umstände bestehen könne, nach denen nicht oder nicht wirksam in Textform gefragt worden ist. Bezüglich der konkreten Anforderungen für das Bestehen einer solchen Pflicht werden jedoch unterschiedliche Auffassungen vertreten, so das OLG.

Eine Aufklärungspflicht sei zum Teil bereits dann zu bejahen, wenn es um Umstände geht, die auch nach Einschätzung des Versicherungsnehmers gefahrerheblich sind, auch wenn danach nicht gefragt wurde. Diese auf subjektiver Ebene vorgenommene Einschränkung werde dabei dadurch begrenzt, dass nach allgemeinen Grundsätzen bereits bedingter Vorsatz der Gefahrerheblichkeit genüge. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer werde die Regelung des Paragrafen 19 Absatz 1 Satz 1 VVG kaum bekannt sein und könne demnach seine Einschätzung nicht beeinflussen. Daher habe nach dieser Auffassung die gesetzgeberische Wertung dieser Regelung keine Bedeutung für die Feststellung der Aufklärungspflicht bei Umständen, nach denen nicht gefragt worden ist.

Demgegenüber seien nach wohl überwiegender Auffassung (herrschende Meinung) jedoch Einschränkungen vorzunehmen. Der Versicherungsnehmer dürfe nach der gesetzlichen Wertung des Paragrafen 19 Absatz 1 Satz 1 VVG grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine darüberhinausgehende Aufklärungspflicht den Versicherungsnehmern nur in Ausnahmefällen treffe.

Einer Ansicht nach sei zwischen verschiedenen Arten von Versicherungsverträgen zu differenzieren. Bei Versicherungen im Alltagsgeschäft („Jedermannsverträge“), die weitgehend standardisiert seien, wie der Krankenversicherungs- und Lebensversicherungsvertrag, sei dem Versicherer zuzumuten, seinen Fragenkatalog abschließend zu gestalten. Eine allgemeinzivilrechtliche Aufklärungspflicht bestehe hier deshalb nicht. Nach der gesetzlichen Wertung der Paragrafen 19 ff. VVG dürfe sich der Versicherungsnehmer bei solchen Verträgen darauf verlassen, dass der Versicherer den Bereich der gefahrerheblichen Umstände überblicken könne und sein Bedürfnis nach Information im Hinblick auf solche Umstände entsprechend abgedeckt habe.

Nach einer anderen Auffassung habe der Versicherungsnehmer eine über die Beantwortung der Fragen aus dem Antrag hinausgehende Aufklärungspflicht nur in dem Ausnahmefall, dass der nicht erfragte Umstand zum einen offensichtlich gefahrerheblich, aber zum anderen so selten und fernliegend ist, dass es verständlich und dem Versicherer nicht vorwerfbar sei, wenn dieser nicht danach gefragt habe.

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