- Von Lorenz Klein
- 21.04.2017 um 18:07
Pfefferminzia: Nach Berechnungen des Bundes der Versicherten kalkulieren die deutschen Lebensversicherer mit „exorbitanten“ Lebenserwartungszuschlägen. Gilt dies für die gesamte Branche und ab wann ist für den BdV das Kriterium „exorbitant“ erfüllt?
Leider ist in der gesamten Branche zu beobachten, dass mit derart überhöhten Lebenserwartungen kalkuliert wird. Hintergrund ist die Empfehlung der Aufsichtsbehörde, dass immer mindestens eine ganz bestimmte Sterbetafel heranzuziehen ist. Diese wiederum hat die Deutsche Aktuarvereinigung erstellt und beinhaltet bereits sehr ausgeprägte Sicherheitspuffer.
Zusätzlich berechnen einige Unternehmen aber dann noch weitere Sicherheitsreserven in der Langlebigkeit mit ein. Unterm Strich haben die Unternehmen aber gar keine echte Möglichkeit mit fairen Lebenserwartungen zu kalkulieren.
So hoch ist die Lebenserwartung in Deutschland
Heute geborene Kinder werden über 90 Jahre alt
Ein Viertel der 2016 geborenen Mädchen wird 100 Jahre alt
Aktuare sind dazu angehalten, vorsichtig zu rechnen. Welche Sicherheitszuschläge in der Kalkulation hält der BdV für angemessen?
Es ist sicher sachgerecht, mit der Annahme eines spürbaren medizinischen Fortschritts zu rechnen. Das tut etwa auch schon das statistische Bundesamt in seinen Generationen-Sterbetafeln. Zusätzlich sollte auch der sogenannte Selektionseffekt eingerechnet werden, also die Tatsache, dass todkranke Menschen keine Rentenabsicherung kaufen. Diese beiden Effekte wirken aber deutlich schwächer als die überbordenden Sicherheitspuffer die heute von den Versicherungsunternehmen eingerechnet werden.
Können Sie beispielhaft erläutern, welche Mehrkosten für einen Lebensversicherten durch eine vermeintlich zu hoch angesetzte Lebenserwartung zu Buche schlagen?
Ein heute 20-Jähriger hat realistisch gesehen etwa eine Lebenserwartung von 92 Jahren – hier ist der Effekt der sich verbessernden medizinischen Versorgung schon eingerechnet. Die Versicherer unterstellen ihm aber eine Lebenserwartung von mindestens 101. Wenn er dann mit 67 in Rente geht, dann hat er realistisch nur 25 Jahre Rentenbezug zu erwarten. Die Versicherungen rechnen aber so, als müssten sie sogar 34 Jahre Rente zahlen, also 9 Jahre länger. Die Rente muss also mehr als Drittel länger ausfinanziert werden. Die Rentenhöhe sinkt dadurch merklich um diesen Anteil. Die überlange Sterbetafel mindert hier also die Rentenhöhe um etwa ein Drittel! Die Versicherer können aber auch mit noch höheren Lebenserwartungen kalkulieren. Das kann zuweilen die Rente dann sogar fast halbieren. Es geht also nicht um Kosmetik. Sondern bei der Frage nach der richtigen Sterbetafel geht es um sehr, sehr viel. Es geht um den Erfolg der Altersvorsorge überhaupt.
Wird eine deutliche Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung durch einen unabhängigen Treuhänder festgestellt, darf der Versicherer den Rentenfaktor sogar in der Ansparphase reduzieren – was in erster Linie fondsgebundene Rentenversicherungen ohne Kapitalgarantien betrifft. Wie bedeutsam wird der Rentenfaktor für die Versicherten noch werden und wie bewerten Sie die jüngste Absenkung der Rentenfaktoren in der Branche?
Der Rentenfaktor ist bei allen Rententarifen die entscheidende Stellschraube für den Erfolg oder Misserfolg. Das betrifft dann gleichermaßen auch Riester-Renten, Rürup-Renten oder auch viele Verträge der betrieblichen Altersvorsorge. Wer heute die ohnehin schlechten Rentenfaktoren weiter senkt, spielt mit der Altersvorsorge von Millionen Bürgern zu Gunsten der wenigen Versicherungsunternehmen. Kapitalgedeckte Altersvorsorge mit privaten Rentenversicherungen, Riester- und Rüruprenten wird zunehmend unsinniger und zu einem reinen Förderprogramm für die Versicherungsunternehmen.
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