- Von Lorenz Klein
- 07.06.2022 um 14:38
Bis 2030 werden dem deutschen Arbeitsmarkt drei Millionen Menschen weniger zur Verfügung stehen, warnt der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Um das gesetzliche Rentensystem trotz des demografischen Wandels zu erhalten, hat der Ökonom nun vorgeschlagen, dass die Deutschen nicht mit 70 in Rente gehen – ein Ansinnen, das in der Bevölkerung ohnehin auf wenig Akzeptanz stößt –, sondern lieber ihre Regelarbeitszeit um zwei Stunden pro Woche erhöhen. Im Falle einer 40-Stunden-Woche also auf 42 Stunden.
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Hintergrund: Ab 2025 komme es zum „Echo-Effekt des Pillenknicks, der in den 60er Jahren stattfand“, wie Hüther im „Deutschlandfunk Kultur“ (hier geht es zum Audio-Interview) erklärte – und das hieße, dass Deutschland bis zum Jahre 2030 drei Millionen Menschen weniger haben werde, was 4,2 Milliarden weniger Arbeitsstunden entspreche. Zwar könne man versuchen diesem Arbeitsausfall entgegenzuwirken, indem die Produktivität anderweitig gesteigert wird – doch das sei „ein langer und zäher Prozess“, so Hüther. Und auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von derzeit 67 Jahren sei bis 2030 erst einmal vom Tisch, weil es derzeit politisch nicht gewollt sei. Bliebe noch aus Sicht des Wissenschaftlers, die Zuwanderung ins Land „dramatisch“ zu erhöhen. Dann müssten jedes Jahr 200.000 Menschen mehr nach Deutschland kommen als das Land verlassen.
Hüther wörtlich:
„Wir sind in einer Situation, wo der demografische Wandel einfach nicht mehr zu verschieben ist – er findet statt. Und dann müssen wir uns doch der Realität stellen. Wenn jemand eine ganz einfache Lösung hat, die Produktivität zu erhöhen – schön, dann nehmen wir die. Oder jemand hat die Antwort, wie wir mehr Menschen für uns gewinnen, die nach Deutschland kommen – auch schön. Ich glaube nur, dass das alles nicht so ganz einfach ist und deswegen mein Vorschlag.“
Konkret sieht der Vorschlag des Wirtschaftswissenschaftlers vor, einmal zu schauen, welche Erfahrungen andere Länder in Europa mit längeren Arbeitszeiten gemacht hätten, etwa in Schweden oder auch in der Schweiz, ein Land mit „ähnlicher kultureller Prägung und Arbeitswelt“, wie Hüther mit Blick auf das Alpenland betonte. Hier sei die Arbeitszeit bereits um zwei Stunden pro Woche verlängert worden.
„Denkverbote sollte es in dieser Situation nicht geben“
„Man muss immer wissen, welche Stellschrauben man hat. Denkverbote sollte es in dieser Situation nicht geben“, warb Hüther für seinen Vorschlag einer verlängerten Arbeitszeit. Zumal es sich dabei nicht um „irgendeine Einsparmaßnahme“ handle, denn die zwei Stunden sollen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch bezahlt werden zu den gegebenen Löhnen. „Das ist ja völlig klar“, wie Hüther hinzufügte.
Es habe in der Arbeitswelt noch nie ein so hohes Maß an Flexibilität gegeben, so der Ökonom weiter, daher bleibe die Frage, „ob man nicht auch ein bisschen über das Volumen nachdenken kann“. Das sei das, was die Einkommensgrundlage stärke „für uns alle – und damit auch die Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft“, sagte der Wissenschaftler. „Ich kann das Problem nicht so richtig erkennen“, entgegnete Hüther im „Deutschlandfunk“ auf Kritik an seinem Vorschlag. „Die Grundrechenarten sollten auch die Gewerkschaften dabei nicht aus den Augen verlieren“, mahnte der IW-Direktor.
Auf den Einwand der Moderatorin, dass die Arbeitsbedingungen vor allem in der Pflege und in sozialen Berufen zum Beispiel in Schweden besser seien als in Deutschland, um die Mehrarbeit schultern zu können, entgegnete Hüther: „Wir müssen sicherlich in einer Einführungsphase darüber nachdenken: Wie machen wir das in den sozialen und Pflegeberufen?“ Dass es hier andere Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter gebe, ziehe er gar nicht in Zweifel, sagte der IW-Direktor. Man würde die zweistündig Mehrarbeit auch nicht „von Heute auf Morgen“ einführen, sondern würde zunächst mit einer Stunde zusätzlich starten und in einer zweiten Phasen eine weitere Stunde dazu nehmen, so Hüther.
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