- Von Andreas Harms
- 30.11.2022 um 13:19
Das heißt aber auch im Umkehrschluss: Solange Löhne und Gehälter nicht zu heftig steigen – zum Beispiel zweistellig wie zuweilen in den 70er-Jahren –, dürfte der Preisauftrieb erst einmal gedeckelt sein.
Was tut die EZB?
Spannend wird somit, was die Währungshüter von der Europäischen Zentralbank (EZB) bei ihrem nächsten Zinsentscheid am 15. Dezember beschließen. Zuletzt hatten sie ja mehrmals ihre Zähne gezeigt und die Leitzinsen zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte erhöht. Der wichtigste Leitzins, der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte, liegt seit November bei 2,0 Prozent. Laut „Handelsblatt“ stehen nun weitere 0,75 Prozentpunkte im Raum. Nach den neuen Inflationszahlen könnten es aber auch nur 0,5 sein. Wer weiß das schon?
Was Volkswirte dazu sagen
Volkswirte indes sind sich nicht einig, ob das nun der Höhepunkt war. Die bei der DWS für Europa zuständige Ulrike Kastens glaubt Letzteres noch nicht. In einem Kommentar schreibt sie:
Ob die Inflationsrate bereits ihren Höhepunkt erreicht hat, ist noch fraglich. Wir rechnen um den Jahreswechsel mit den höchsten Inflationsraten in Deutschland, da auch im Dezember Preiserhöhungen für Gas und Strom anstehen und auch viele Unternehmen nochmals ihre Preise wegen der höheren Kosten anheben werden.
Chefvolkswirt Jörg Zeuner von Union Investment verweist darauf, dass die Lebensmittelpreise weiter steigen, was an Problemen in Lieferketten und den hohen Preisen für Dünger liegt. Außerdem hätten viele Unternehmen die gestiegenen Kosten noch gar nicht auf die eigenen Preise umgeschlagen. Laut Ifo Institut waren es gerade mal ein Drittel. „Daher bleibt die Kerninflation, also die Inflationsrate ohne schwankungsanfällige Energie- und Nahrungsmittelpreise, hartnäckig hoch. Wir erwarten für Dezember den Höhepunkt der Inflation“, schreibt Zeuner in seinem Kommentar. Er halte deshalb 0,75 Prozentpunkte im Dezember für wahrscheinlicher als 0,5.
Das böse Wort mit R
Hart ins Gericht mit den Zentralbanken geht Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des auf Anleihen spezialisierten Vermögensverwalters Bantleon. Sie hätten einerseits zu spät auf die Inflation reagiert und damit Mitschuld an deren Überschießen, wirft er den Geldhütern vor. Und jetzt, um ihre Reputation zu retten, begingen sie gleich den zweiten Fehler. „Dieses Mal schießen die Währungshüter bei den restriktiven Impulsen über das Ziel hinaus und treiben damit die Weltwirtschaft im kommenden Jahr in eine Rezession“, meint Hartmann. Die wiederum dürfte gleich für den „nächsten scharfen Kurswechsel“ sorgen – nämlich wieder kräftig gesenkte Leitzinsen. Hartmann hofft, dass die Zentralbanken aus dem Hin und Her lernen und „perspektivisch zu einer Zinspolitik der ruhigen Hand zurückkehren“.
Nun klingt eine Rezession – durchaus aus gutem Grund – erst einmal schrecklich. Doch nichts ist so schlecht, dass nicht auch etwas Gutes dabei ist. In einer Rezession baut die Wirtschaft Überkapazitäten ab und stellt sich effizienter auf, was den Arbeitsmarkt entspannen könnte. Und außerdem: Die Preise sinken.
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