Volkswirt Dieter Wermuth: „Die Inflation vermindert auch die reale Schuldenlast“ © Wermuth AM
  • Von Redaktion
  • 04.10.2022 um 12:14
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Tatsächlich zweistellig: Für September meldeten die Statistiker in Deutschland eine Inflationsrate von satten 10 Prozent. Woher kommt das? Und geht das auch mal wieder weg? Und welche Rolle spielt der Euro dabei? Eine Analyse von Dieter Wermuth, Volkswirt und Partner bei Wermuth Asset Management.

Es ist noch nicht einmal drei Jahre her, da galt Deflation als eines der größten wirtschaftspolitischen Probleme. Warum? Wenn das Preisniveau sinkt, steigt die reale Schuldenlast von Verbrauchern, Unternehmen und Staat – sie verschulden sich daher weniger und geben weniger aus. Morgen wird ja alles billiger sein. Für die Konjunktur ist das nicht unbedingt tödlich, aber doch von Nachteil. Der Tendenz nach ist ein bisschen Inflation wünschenswert. Daher haben die meisten Notenbanken in den reichen Ländern ein Inflationsziel von 2 Prozent.

Zuletzt haben sich die Dinge unerwarteterweise und höchst dramatisch verändert, durch das Ende der Covid-Pandemie und, noch wichtiger, durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Nun ist auf einmal eine zu hohe Inflation das wirtschaftspolitische Problem Nummer 1. Im August lagen die deutschen gewerblichen Erzeugerpreise um 45 Prozent über ihrem Vorjahresstand, die Verbraucherpreise im September um 10,0 Prozent, der höchste Wert seit 1951.

Das sind schockierende Zahlen für ein Land, das so viel Wert auf die Stabilität seiner Währung legt. Normalerweise sind Erzeugerpreise verlässliche Frühindikatoren für die Verbraucherpreise – das heißt leider, dass diese für einige Zeit sehr hoch bleiben werden. Von einer Lohn-Preisspirale ist glücklicherweise noch nichts zu sehen: Die Tarifpartner können offenbar nicht glauben, was da zurzeit an der Preisfront passiert.

Schwacher Euro lässt Einfuhrpreise explodieren

Nicht nur die Energiepreise haben die deutsche Inflation angeheizt, der schwache Euro ist ein anderer wichtiger Grund. Trotz solider Fundamentalfaktoren (einem leichten Überschuss in der Leistungsbilanz des Euroraums, verglichen mit einem sehr großen amerikanischen Defizit, sowie relativ niedrige Staatsschulden – 97 Prozent des BIP, in Amerika 126 Prozent) leidet der Euro unter Verkaufsdruck und hat im Verlauf des Jahres gegenüber dem Dollar nicht weniger als 14 Prozent verloren. Kein Wunder, dass die Einfuhrpreise explodieren.

Geopolitische Aspekte dominieren an den Devisenmärkten, und da insbesondere die russische Invasion der Ukraine und die Folgen für die internationalen Beziehungen – ein Happy End ist nicht in Sicht. Der Dollar gilt, solange Europa auf die militärische Hilfe der USA angewiesen ist, als sicherer Hafen für Anleger, selbst wenn amerikanische Bonds und Aktien vergleichsweise teuer sind.

Zinsdifferenz spielt eine Rolle

Ein anderer Faktor, der bisher gegen den Euro gesprochen hatte, waren die Zinsdifferenzen zwischen den USA und dem Euroraum. Die Fed hatte die Leitzinsen früher und energischer angezogen als die EZB. Zinsdifferenzen sind oft irrelevant für den Wechselkurs (Stichwort Schweiz), diesmal aber nicht. Auf absehbare Zeit dürfte das amerikanische Zinsniveau, von kurzen bis zu langen Fristen, um etwa 150 Basispunkte über dem europäischen liegen und auf diese Weise den Dollar stark halten.

Wechselkurs des Euro zum US-Dollar
Wechselkurs des Euro zum US-Dollar

Wenn sich diese Vorhersagen als richtig erweisen, lohnt es sich Schulden zu machen – vor allem für die öffentliche Hand, weil deren Schuldzinsen weit unter den erwartbaren Inflationsraten und damit den Steuereinnahmen liegen. Das gilt aber auch für Haushalte und für Unternehmen. Die Inflation vermindert auch deren reale Schuldenlast. Das ist die eine, positive Seite der hohen Inflation. Die Kehrseite darf nicht vergessen werden: Das Preisniveau steigt zurzeit rascher als die Einkommen. Das gilt vor allem für die Haushalte, deren Realeinkommen und Lebensstandard gerade rapide sinken, und die dadurch zunehmend risikoavers werden. Unterm Strich wird der private Verbrauch sinken, also die größte Ausgabenkomponente in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, und auf diese Weise die gesamte Wirtschaft in den negativen Bereich ziehen.

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