- Von Andreas Harms
- 17.05.2022 um 10:37
Das wäre?
Bisher war klar, dass eine Altersvorsorgepflicht von uns nur im Paket mit Rechtssicherheit in Bezug auf Scheinselbstständigkeit zu haben ist.
Warum das?
Der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit ist für die Deutsche Rentenversicherung eine bequeme Möglichkeit, gut verdienende Leute in die Rentenversicherung zu zwingen. Selbst dann, wenn sie schon viele Jahre selbstständig sind und gut für ihr Alter vorgesorgt haben. Denn wenn sie scheinselbstständig sind, sind sie pflichtversichert. Dabei sind die Kriterien dafür äußerst vage. Und die Entscheidung darüber fällt dieselbe Behörde, die von Rentenbeiträgen profitiert, nämlich die Deutsche Rentenversicherung. Da besteht ein gewaltiger Interessenkonflikt.
„Das wird das Fachkräfteproblem verschärfen“
Was würde helfen?
Die Entscheidung, ob jemand scheinselbstständig ist, muss eine neutrale Stelle treffen. Und das sollte nach nachvollziehbaren Kriterien erfolgen, die in diese Zeit passen. Das könnte auch gut für den Arbeitsmarkt sein.
Warum?
Stellen Sie sich mal vor, ein Selbstständiger hat ein Leben lang hart gearbeitet, gut vorgesorgt, ist Mitte 50 und soll nun plötzlich gegen seinen Willen in eine Anstellung gezwungen werden. Dann sagt er vielleicht ‚Da mache ich nicht mit‘ und geht jetzt gleich in den Ruhestand. Das wird das Fachkräfteproblem in Deutschland aber verschärfen. Rechtssicherheit bezüglich Scheinselbstständigkeit sollte doch Pizzaboten oder Lebensmittelausfahrern helfen und sozialen Schutz bringen. Ich habe aber den Eindruck, dass das gar nicht das Ziel ist. Soziale Schutzbedürftigkeit sei kein Kriterium für Scheinselbstständigkeit, heißt es in den neuen Anweisungen der Sozialversicherungsträger. Die wollen offensichtlich die Pizzaboten gar nicht in der Rentenversicherung haben, sondern nur Gutverdiener. Deshalb akzeptieren wir die Vorsorgepflicht, verlangen aber zugleich Rechtssicherheit. Wir wollen Kriterien, bei denen man auch als juristischer Laie weiß, ob man selbst beziehungsweise der Auftragnehmer selbstständig ist oder nicht. Diese Rechtssicherheit sehe ich aber noch nicht. Das Arbeitsministerium spielt in Bezug auf Scheinselbstständigkeit auf Zeit und will erst in zwei bis drei Jahren darüber entscheiden. Damit brechen sie aber das gemeinsame Verständnis, das bisher bestand. Und das ist nicht das einzige Problem.
„Selbstständige zahlen ihre Beiträge auf den Gewinn“
Welches noch?
Wenn Selbstständige in die gesetzliche Sozialversicherung einzahlen, wird bei ihnen eine höhere Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt als bei Angestellten und ihren Arbeitgebern.
Und sie müssen somit mehr zahlen?
Genau. Selbstständige zahlen ihre Beiträge auf den Gewinn. Und der sollte möglichst so hoch sein wie das Bruttogehalt eines Angestellten plus den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, also noch einmal ungefähr 20 Prozent oben drauf. Damit muss der Gewinn des Selbstständigen 120 Prozent des offiziellen Angestellten-Bruttolohns betragen. Dann sind beide finanziell vergleichbar. Doch die Beiträge werden bei Angestellten dann auf 100 Prozent berechnet und beim Selbstständigen auf 120 Prozent.
Womit sie bei Letzteren um ein Fünftel höher liegen.
Genau, bis in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zahlen Selbstständige bei vergleichbarem Einkommen systematisch 20 Prozent höhere Beiträge – und dieses Geld fehlt dann für die Altersvorsorge. Dieser Punkt ist bei den Verantwortlichen noch gar nicht richtig angekommen. Da haben wir also noch einige Arbeit vor uns.
Über den Interviewten: Andreas Lutz ist Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). Er vertritt die Interessen von Gründern und Selbstständigen sowie kleinen Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Was auch Freiberufler und Teilzeit-Selbstständige einschließt.
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